Ein wachsender Teil der deutschen Bevölkerung ist skeptisch, wenn es um die oft beschworene Unabhängigkeit und Ehrlichkeit der deutschen Presse geht. Die zentralen Themen unserer Zeit, die über Krieg und Frieden entscheiden, werden nur aus einem Blickwinkel beleuchtet und aus ihrem historischen Kontext gerissen.
Zum Beispiel ist laut der heute geduldeten Lesart der Krieg in der Ukraine ein unprovozierter imperialer Krieg eines tyrannischen Diktators, der die freiheitliche „regelbasierte Ordnung“ des „demokratischen Westens“ zurückdrängen will.
Bedenken, daß russische Sicherheitsinteressen bei der Osterweiterung der NATO vollkommen außer acht gelassen wurden, aber auch die Provokation durch die Stationierung von Raketensystemen in Osteuropa versucht man durch die Stigmatisierung solcher Argumente als „russische Propaganda“ zu diskretisieren.
Auch unbehagliche Themen, die nur zu tiefergehenden Fragen führen, werden mit Hilfe der Medien der gesellschaftlichen Amnesie zugeführt, wie zum Beispiel die Hintergründe des Anschlages auf die Nord-Stream-Pipline.
Auf diese Weise wird die öffentliche Meinung beliebig neu ausgerichtet, um die geopolitischen Ziele der herrschenden Elite zu erreichen. Ein System mit Tradition.
Die „notwendige Lüge“
Einer der Vordenker der modernen westlichen Propaganda ist George Kennan, der unter Präsident Harry Truman als Mitglied des US-Außenministeriums entscheidend war für die Umkehr der Beziehungen zu der damaligen Sowjetunion, nämlich vom Verbündeten im Kampf gegen den Faschismus hin zum geopolitischen Kontrahenten nach dem Zweiten Weltkrieg.
George Kennan prägte den Begriff der „notwendigen Lüge“, die als Mittel von Propagandakampagnen genutzt werden sollte, um im Wettstreit mit den Sowjets die Oberhand zu erlangen. Er verfaßte als Mitglied des Außenministeriums die Direktive NSC-10/2, die es der CIA auch in Friedenszeiten erlaubte, “Propaganda, Wirtschaftskrieg, Präventivmaßnahmen einschließlich Sabotage, Gegensabotage, Zerstörung und Evakuierung, ferner subversives Vorgehen gegen feindliche Staaten einschließlich der Unterstützung von Widerstandsbewegungen“ zu betreiben.((Direktive NSC-10/2, Final Report of the Church Committee 1976.))
Zu diesem Zweck wurde die CIA-Unterabteilung des Büros für Politikkoordination (Office of Policy Coordination, OPC) gegründet, geführt von Frank Gardiner Wisner, einem ehemaligen Wallstreet-Anwalt, der nach Ende des Zweiten Weltkrieges für den US-Militärgeheimdienst zuständiger Verbindungsmann zur Organisation Gehlen (Abteilung Fremde Heere Ost) war. Ein Kollege sagte über ihn: „Wisner hat nach dem Krieg eine Menge Faschisten hereingebracht, darunter einige richtig eklige Leute. Er konnte sich das leisten, denn er war mächtig.“((Interview mit Tom Braden, Virginia, 1996.))
Aus dieser Operation entwickelte sich über die nächsten Jahre eine Anstrengung, die Bevölkerung in Europa umzuerziehen, um ihnen die Überlegenheit Amerikas in allen Bereichen der Kultur und der Gesellschaft zu vermitteln. Eine Schlüsselorganisationen dafür wurde der „Kongreß für Kulturelle Freiheit“ (CCF). Über den CCF wurden CIA-Gelder an über 170 Tarnstiftungen verteilt (zum Beispiel die drei großen amerikanischen Stiftungen Ford, Rockefeller und Carnegie), die dann genutzt wurden, um insgesamt 120 verschiedene Presseorgane aufzulegen (zum Beispiel Der Monat in Deutschland, Tempo Presente in Italien, Preuves in Frankreich (1951), FORVM in Österreich, Cuadernos für Lateinamerika, Encounter in England, Freedom First in Indien), aber auch, um Kunstwettbewerbe, Lesungen und Konzerte zu veranstalten.
So finanzierte die CIA die Gründung oder Unterwanderung bestehender Jugendgruppen, Gewerkschaften, Universitäten sowie Verlagshäuser und anderer Privateinrichtungen.((„Final Report of the Church Committee“, 1976, 1. Buch, S. 183.))
Im Bericht des Church Comittee, dem Sonderausschuß des US-Senats von 1975 zur Untersuchung des Regierungshandelns mit Bezug zu Aktivitäten der Nachrichtendienste, das viele geheime Machenschaften der CIA aufdeckte, heißt es unter anderem:
„Die Central Intelligence Agency nutzt jetzt mehrere hundert amerikanische Akademiker, die nicht nur Informationen sammeln und gelegentlich auch Kontakte für Geheimdienstzwecke knüpfen, sondern auch Bücher und anderes Material schreiben, für Propagandazwecke im Ausland. Darüber hinaus werden einige weitere Personen unwissentlich für kleinere Aktivitäten eingesetzt.
Diese Akademiker sind an ungefähr 100 verschiedenen amerikanischen Hochschulen, Universitäten und verwandten Instituten tätig. In den meisten Einrichtungen ist sich niemand der CIA-Verbindung bewußt, außer der betreffenden Person. Bei den anderen ist mindestens ein Universitätsbeamter über die operative Nutzung von Akademikern auf seinem Campus informiert. Darüber hinaus gibt es mehrere amerikanische Akademiker im Ausland, die operativen Zwecken dienen, in erster Linie der Sammlung von Informationen.“
Der spätere CIA-Vorsitzende William Colby rechtfertigte dies damit, daß die Sowjetunion ähnlich vorging:
„Die Kommunisten machten keinen Hehl aus ihrem Glauben an das, was sie ,die organisatorische Waffe‘ nannten; organisiere die Partei als Schlüssel- und Kommandogruppe, aber organisiere darüber hinaus ein ganzes Spektrum von Tarneinrichtungen – die Frauengruppen, die Kulturvereine, die Gewerkschaften, die Farmer, die Kooperativen –, damit so viele Menschen eines Landes wie möglich diesen Gruppen angehören und damit letztlich sogar der Disziplin einer kommunistischen Führung unterstehen.“((Interview mit William Colby 1994.))
1951 unterschrieb der amerikanische Präsident Harry Truman eine Geheimdirektive zur Gründung eines Ausschusses für psychologische Kriegsführung, über den einer seiner Mitarbeiter warnend schrieb:
„Individuen haben nur noch drittklassige Bedeutung. Die angebliche Elite tritt als einzige Gruppe von Belang hervor. Definiert wird sie als eine zahlenmäßig begrenzte Gruppe, die fähig und daran interessiert ist, in Fragen der Doktrin einen manipulativen Einfluß auszuüben.“
Unter diesem Programm wurden ausländische Meinungsführer, beispielsweise Journalisten, Kommentatoren, Künstler, Professoren und Wissenschaftler mit dem Geld der CIA für die Sache der „Freiheit“ gewonnen. Diese Meinungsführer wurden dann, wenn die CIA eine neue Beeinflussungskampagne durchführen wollte, mit Vorschlägen und vorbereiteten Texten versorgt, die sie dann in Umlauf bringen sollten. Eine davon war Hannah Arendt, die sich nach einem langen Gespräch mit dem CCF-Vertreter Nabokov und britischen Ministerien bereit erklärte, Material des britischen Propagandaministeriums in ihrem Buch zu verwenden.
Zum Zweck der Unterwanderung des linken Milieus war es den CCF-Drahtziehern auch recht, wenn die Meinungsführer Kritik am Handeln Amerikas oder des Westens äußerten, solange die Kerninteressen der anglo-amerikanischen Allianz gewahrt wurden.
Dieses Netzwerk von Einflußagenten spannte sich von Südamerika bis nach Indien, und die CIA war an der Veröffentlichung von mindestens 1000 Büchern beteiligt. Der Church-Sonderausschuß deckte auf, daß die CIA bei folgendem involviert war:
„Veröffentlichung und Vertrieb von Büchern im Ausland durch geheime Unterstützung ausländischer Verlage oder Buchhändler, damit die Einflußnahme der Vereinigten Staaten nicht deutlich wird. … Veröffentlichung von Büchern ohne Merkmal einer offensichtlichen Verbindung zur amerikanischen Regierung, besonders im Falle einer heiklen Position des Autors. … Veröffentlichung von Büchern aus operativen Gründen, unabhängig von kommerziellen Erfolgserwartungen… Förderung politisch wichtiger Bücher unbekannter ausländischer Autoren, sei es durch eine direkte Unterstützung des Autors, sofern ein geheimer Kontakt angebracht erscheint, oder indirekt durch Literaturagenten, beziehungsweise Verlage.“((Leiter für verdeckte Operationen, Church Committe.))
Die CIA setzte sich aber auch für die Verfilmung von Büchern ein, wie zum Beispiel George Orwells „Die Farm der Tiere“ und „1984“, wobei angemerkt werden muß, daß Orwell selbst eng mit dem britischen Geheimdienst zusammenarbeitete.
Zeitschriften, die diesem System unliebsam waren, wurden, wenn sie nicht gekapert werden konnten, durch den Aufbau von Konkurrenzmedien gezielt wirtschaftlich in den Konkurs getrieben.
Von 1950 bis 1953 plante und gründete die CIA gemeinsam mit der IRD, der damaligen britischen Propagandaabteilung, das britische Kulturmagazin Encounter, das mit der prostalinistischen Wochenzeitung The New Statesman and Nation konkurrieren sollte, das man zuvor durch finanzielle Unterstützung anderer konkurrierenden Magazine eindämmen wollte. Die Kontaktperson zum britischen Geheimdienst war die Büroleiterin und spätere Chefin vom Dienst des Encounter, Margot Walmsley. Sie arbeitete insgeheim für die britische IRD. Die Gelder aus den USA wurden unter anderem über die Fairfield-Stiftung zur Verfügung gestellt.
Das Propaganda-Netzwerk des Kongresses für Kulturelle Freiheit flog schließlich im Jahre 1966 mit der Veröffentlichung eines Enthüllungsartikels in der New York Times auf und mußte abgewickelt werden.
Und heute?
Wer glaubt, daß in den heutigen Medien nur lautere Wahrheiten ohne Verdrehung zu finden sind, der sollte sich einmal die Ähnlichkeit zwischen dem CCF-Netzwerk und den Strukturen heutiger Cluster-Gruppen als Kerne von Beeinflussungskampagnen vor Augen führen.
Ein Beispiel für die Weiterführung des Systems der Medienkontrolle ist die britische Integrity Initiative, von der 2018 interne Dokumente an die Öffentlichkeit gelangten. Offiziell handelte sich bei der genannten „Initiative“ um eine Allianz gegen Desinformation. Sie entpuppte sich aber vielmehr als ein enges Netzwerk von Vertretern aus den Bereichen Politik, Militär, Wissenschaft, Journalismus und Denkfabriken, die auf konspirative Weise den öffentlichen Diskurs zu lenken versuchten.
In einer Stellungnahme 2019 in der linken Blog-Plattform The Canary zog der damalige britische Labour-Abgeordnete Chris Williamson eine direkte Parallele zwischen der Zusammenarbeit der Gruppe von Journalisten und den verdeckten Zahlungen der CIA an Reporter während des Kalten Krieges:
„Diese Taktiken ähneln denen, die von der CIA in der ,Operation Mockingbird‘ eingesetzt wurden, die auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in den frühen 1950er Jahren anfing. Zu deren Zielen gehörte es, die Mainstream-Nachrichtenmedien als Propagandawerkzeug zu nutzen… Sie manipulierten die Nachrichtenagenda, indem sie führende Journalisten rekrutierten, um Geschichten mit dem ausdrücklichen Ziel zu schreiben, die öffentliche Meinung in einer bestimmten Weise zu beeinflussen… Jetzt scheint es, als ob das britische Establishment das alte Spielbuch der CIA entstaubt hat und darauf aus ist, es auf dieser Seite des Atlantiks noch einmal zu testen.“
Gleiches könnte man auch über die enge Verflechtung deutscher Journalisten mit NATO-nahen Denkfabriken vermuten, worüber in der Zukunft noch zu berichten ist.
Das einzige Mittel, das verhängnisvolle Gespinst von Lügen zu durchtrennen, ist die Bildung der Bevölkerung zu echten Staatsbürgern – Menschen, die in der Lage sind, sich in die Situation des vermeintlichen Gegners hineinzuversetzen, die sich Gedanken darüber machen, wie andere Völker der Erde über das heutige Geschehen denken. Wenn wir unser eigenes Dasein und Wirken im großen historischen Kontext sehen, kann man uns Bürgern nicht so einfach einen Bären aufbinden.
Zu einer echten Freiheit der Völker gehört auch eine Freiheit im Geiste.