Die folgende Rede hielt der Staatsrat der Volksrepublik China, Song Jian, Vorsitzender der chinesischen Staatskommissionen für Wissenschaft und Technik und für Umweltschutz, zur Eröffnung des internationalen Symposiums über die wirtschaftliche Entwicklung der Wirtschaftsregionen entlang der neuen eurasischen Landbrücke, das vom 7. bis 9. Mai in Beijing in der Volksrepublik China stattfand.
Sehr geehrte Konferenzteilnehmer, verehrte Damen und Herren. Es ist mir eine Ehre, als Vorsitzender dieses Symposiums das „Internationale Symposium über die Entwicklung der Regionen entlang der neuen eurasischen Landbrücke“ zu eröffnen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ganz besonders Seiner Exzellenz Sir Leon Brittan, Herrn Jing Yongjian, Herrn Ling Syargei und Herrn James Gustave Speth für ihre Unterstützung und Mitleitung dieser Konferenz danken. Gleichzeitig möchte ich alle Teilnehmer des Symposiums herzlich willkommen heißen und grüßen.
Europa und Asien blicken auf eine lange Geschichte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, des Handels und des kulturellen Austauschs zurück. Bereits vor über 2000 Jahren, als unter der Regierung des Kaisers Han-Wu aus der Han-Dynastie der einzige Landkorridor, – die Europa, Afrika und Asien verbindende Seidenstraße – eröffnet wurde, zogen die Händler mit ihren Kamelkarawanen über die Berge und durchreisten Gebiete in China, Zentralasien, Westasien, Südasien, Europa und Nordafrika. Mit dem Handel breitete sich auch der Geist der Zivilisation und Freundschaft in den an der Seidenstraße gelegenen Ländern aus. Im Zuge des raschen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts kam es zu einer Revolution im Bereich traditioneller Verkehrsmittel; die Entstehung schneller, hocheffizienter und verläßlicher multimodaler und integrierter Verkehrssysteme wurde befördert und die menschliche Zivilisation auf eine neue Stufe gebracht. Dies hatte zur Folge, daß die Welt immer kleiner und die Entfernung zwischen Ost und West immer kürzer wurde.
Eine neue Ära des Kulturaustauschs, des Handels und der wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit begann für die Völker in diesen Ländern. (im Umfeld der Seidenstraße – red.) Am 12.September 1990 wurde die historische Eisenbahnverbindung am Alataw-Paß zwischen China und der früheren Sowjetunion fertiggestellt; dies Datum markiert die Fertigstellung jener neuen, umfassenden Verkehrslinie, die den Pazifik mit dem Atlantik verbindet und quer durch Europa und Asien läuft. Der Bau und die Eröffnung der neuen eurasischen Landbrücke läßt die Seidenstraße, die einst einen großen Beitrag zur Verbreitung der Zivilisation und der traditionellen Freundschaft leistete, in hellem Licht erstrahlen; damit werden neue Möglichkeiten und eine solide Grundlage für die Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der Handelsbeziehungen und des technischen Austauschs zwischen den Ländern im Umfeld der eurasischen Landbrücke geschaffen.
Wir sind hier in Peking zusammengekommen, um die regionale Entwicklung der Wirtschaftsregionen entlang der neuen Landbrücke zu diskutieren; es gilt, neue Wege und Formen der Zusammenarbeit zwischen Europa und Asien im Bereich Wirtschaft, Handel und Technologie zu suchen, eine Lösung der von unseren Vorfahren an uns hinterlassenen Aufgaben in Angriff zu nehmen und unseren Beitrag zum gegenseitigen Wohlergehen Europas und Asiens zu leisten.
Einige Prinzipien
Es gibt gute Möglichkeiten für die Entwicklung der Wirtschaftsregionen, welche die neue eurasische Landbrücke säumen. Das eurasische Gipfeltreffen, das im März (1996) in Bangkok stattfand, reflektiert den Wunsch und das Bedürfnis der eurasischen Länder, mit Blick auf das 21. Jahrhundert eine neue Form der Partnerschaft zu entwickeln, den Dialog zu stärken, die wirtschaftlichen Beziehungen zu vertiefen und angesichts solch historisch bedeutender Entwicklungen, die Zusammenarbeit auszuweiten. Die Entwicklung der neuen eurasischen Landbrücke steht jedoch erst am Beginn, und es gibt noch einige Probleme und Fragen im Zusammenhang mit nichtökonomischen und Umweltfaktoren, für die eine Lösung gefunden werden muß. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Aller Anfang ist schwer“; es bedarf also einer Zusammenarbeit aller Länder und Regionen im Umfeld der Landbrücke und der internationalen Gemeinschaft, um diese Fragen zu behandeln und um eine Lösung für die Probleme zu finden. In diesem Zusammenhang lassen wir uns von folgenden Grundsätzen leiten:
- Es gilt, der wirtschaftlichen Entwicklung höchste Priorität einzuräumen und die nationalen Unterschiede zu respektieren. In den Ländern entlang der Landbrücke gibt es unterschiedliche geographische Bedingungen, kulturelle Traditionen, religiöse Überzeugungen und Gebräuche, sowie verschiedene politische und wirtschaftliche Systeme auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Wir denken, daß wir uns von dem Prinzip der Suche nach Gemeinsamkeiten leiten lassen sollten und angesichts der Unterschiede der gemeinsamen Entwicklung sollte der Behandlung der zwischenstaatlichen Fragen die höchste Priorität eingeräumt werden; nur so kann die Dynamik und voraussichtliche Zukunft der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung im Umfeld der neuen eurasischen Landbrücke gesichert werden.
- Wir sollten uns an das Prinzip des gegenseitigen Nutzens, der gegenseitigen Ergänzung und der gemeinsamen Entwicklung halten. Die Länder entlang der neuen eurasischen Landbrücke weisen angesichts sich ergänzender Eigenschaften bestimmte Vorzüge für die Gestaltung und Entwicklung der Wirtschaft im Umfeld der Landbrücke auf. Europa besitzt eine entwickelte Wirtschaft, fortschrittliche Technologie und ausreichend Kapital, während Asien in den letzten Jahren eine schnelle und dynamische Entwicklung seiner Wirtschaft und hohe Investitionserträge erlebt hat. Daher ist es den Ländern und Regionen entlang der Landbrücke möglich, bilateral oder multilateral wirtschaftlich und im Handel zum gegenseitigen Nutzen zusammenzuarbeiten.
- Wir sollten uns an eine Entwicklungsstrategie halten, die die Zukunft und Entwicklung Schritt für Schritt angeht. Die neue eurasische Landbrücke führt durch Mittel- und Westchina, Zentralasien und Westasien, und in der jetzigen Phase ist es notwendig, die Zusammenarbeit beim Betrieb und bei der Verwaltung des schon fertiggestellten Landverkehrswegs zu verbessern. Ich hoffe, daß die Länder im Umfeld der Landbrücke eine strategische Sichtweise annehmen, die sich auf die Zukunft konzentriert, und damit eine realistische Haltung bezüglich ihrer schrittweisen Verwirklichung.
Umfassende Planung
Die chinesische Regierung hält die guten Möglichkeiten, die sich aus der Entwicklung der neuen eurasischen Landbrücke ergeben, für äußerst wichtig, und sie ist bereit, die eurasisch-wirtschaftliche Zusammenarbeit auszuweiten und den Frieden und die Stabilität und Prosperität Eurasiens und der Welt zu sichern. Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Maßnahmen geplant und ergriffen, um die Entwicklung, die Erschließung und den Bau des chinesischen Abschnitts der neuen eurasischen Landbrücke voranzutreiben. In Bezug auf die planerischen Voraussetzungen hat China Richtlinien für die Entwicklung der Städte und Gemeinden im Umfeld der Landbrücke erlassen, die Untersuchung des 4131 Kilometer langen und 200 Kilometer breiten Gebiets an der Landbrücke aus der Luft abgeschlossen und erste Analysen der natürlichen Ressourcen und der Umwelt vorgenommen; es hat außerdem die dauerhafte Entwicklung der sich an der Landbrücke befindenden chinesischen Regionen auf die Prioritätsliste der chinesischen Agenda 21 gesetzt. 1996 nahm die chinesische Regierung den Bau des Wirtschaftsgebiets im Umfeld der eurasischen Landbrücke in den 9. Fünfjahresplan und in den Entwurf der Entwicklungsziele für das Jahr 2010 auf, um die Planung umfassend durchzuführen und die Entwicklung zu beschleunigen.
Hinsichtlich der Baumaßnahmen hat China nach und nach den Bau zweigleisiger Eisenbahnen, die Erweiterung und Erneuerung der entsprechenden Häfen, den Bau des chinesischen Teils des eurasischen Glasfaser-Kommunikationskabels und weitere Infrastrukturprojekte abgeschlossen. Die Schnellstraße vom Hafen Lianyungang nach Hurgos/Xinjiang [Sinkiang] ist im Bau. Die fortschreitende Verbesserung dieser großen Infrastrukturprojekte wird einen positiven Beitrag zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung im Umfeld der neuen eurasischen Landbrücke leisten.
Willen zur Übereinkunft
„Eine Reise über tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.“ Diese Konferenz ist ein guter Anfang. Um einen Konsens zu finden und Entscheidungen zu treffen, und somit zu einem fruchtbaren und produktiven Verlauf der Konferenz beizutragen, sollten die folgenden Fragen diskutiert werden.
- Erstens, Maßnahmen zur Beschleunigung des Baus von infrastrukturellen Einrichtungen, mit Schwerpunkt Eisenbahnen, zu untersuchen. Ein ungestörter Eisenbahnbetrieb ist Voraussetzung für den Aufbau und die Entwicklung der Wirtschaftsregion im Umfeld der neuen eurasischen Landbrücke. Zielsetzung ist dabei die Sicherheit, Pünktlichkeit und Schnelligkeit des Verkehrs, was durch den schnellen Bau der Eisenbahninfrastruktur und die stärkere Koordinierung der Technik, der Verwaltung und der Dienstleistungen der multinationalen Eisenbahnen erreicht werden kann. Darüberhinaus sollte das multinationale Netzwerk, in dem Telekommunikation, Autobahnen, Zivilflugverkehr, Pipelines und Häfen auf den Eisenbahntransport eingestellt sind, entsprechend gestaltet werden, um die Effizienz und Effektivität des Verkehrs voll auszunutzen.
- Zweitens, die politische Entscheidungsfindung und Koordination von Investitionen und Handel zu verstärken. Die neue eurasische Kontinentalbrücke sollte nicht nur als Verkehrsweg betrachtet werden, sondern auch als wichtige Verbindung, die den Warenfluß, den technischen Austausch, die kulturelle Kommunikation und die Freundschaft zwischen den Völkern Eurasiens miteinander verbindet. Es ist notwendig, Machbarkeitsstudien über die Organisation des Verkehrs, des Zolls und des Handels durchzuführen und die bilaterale oder multilaterale Zusammenarbeit und Koordination zu erleichtern.
- Drittens, Aktivitäten zur Beseitigung der Armut durchzuführen, die sich auf die Verbesserung der Umweltbedingungen und die Erschließung der menschlichen Ressourcen konzentrieren. Der zentrale Abschnitt der neuen eurasischen Landbrücke ist mit reichen natürlichen Ressourcen gesegnet und hat ein großes Entwicklungspotential. Aber die Umwelt ist anfällig und einige Völker sind immer noch sehr arm. Der Bau und die Entwicklung der Landbrücke bieten diesen Völkern neue Beschäftigungsmöglichkeiten, und trägt zugleich dazu bei, die Armut zu beseitigen. Das Unternehmen wird sich für weitsichtige Politiker und Unternehmer auszahlen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß aufgrund der weiteren Entwicklung der regionalen Wirtschaft der neuen eurasischen Landbrücke und auf dem Wege eines gemeinsamen Bemühens der Völker in den entsprechenden Ländern und der internationalen Gemeinschaft schon in naher Zukunft ein dynamischer Wirtschaftskorridor, gesäumt von großen und mittleren Städten, an der neuen eurasischen Landbrücke entstehen wird. Wesentlichstes Kennzeichen des Korridors ist die auf der Grundlage gegenseitiger Entwicklung und Förderung stattfindende Integration von Ost und West. An der Schwelle zum 21.Jahrhundert sollten wir die Seidenstraße als Wahrzeichen für Zivilisation, Entwicklung und Freundschaft mit neuem Leben erfüllen.
Ich wünsche der Konferenz von ganzem Herzen großen Erfolg und allen Teilnehmern einen angenehmen Aufenthalt in Beijing.