Die Welt befindet sich in der schlimmsten Krise seit Jahrhunderten – keine konjunkturelle Krise, sondern eine allgemeine Zusammenbruchskrise. Es handelt sich nicht bloß um ein normales konjunkturelles Problem innerhalb der existierenden Institutionen, sondern um ein Versagen dieser Institutionen selbst.
Es ist damit zu rechnen, daß in den kommenden Wochen oder Monaten das Bankenwesen ganzer Nationen zusammenbricht. Die führenden Banken der USA sind ausnahmslos schon bankrott, das kann ich Ihnen versichern. Die großen europäischen und japanischen Bankinstitute sind ebenfalls bankrott.
Dieser Bankrott hat sich über einen längeren Zeitraum entwickelt, seit 1964, besonders aber ab 1971. Ab 1964, nach der Ermordung Kennedys, gab es in Großbritannien und den USA Veränderungen, die auf das restliche Europa und die restliche Welt übergriffen. Wie die meisten von Ihnen miterlebt haben, erlebten Europa und andere Teile der Welt in der Nachkriegszeit von 1945 bis zur Mitte der 60er Jahre einen immensen Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung. Mit dem Amtsantritt der ersten Regierung Wilson in England, dem Eintreten der USA in den Indochinakrieg und der Einführung der sog. „Drogen-Rock-Sex-Gegenkultur“ vollzog sich dann aber zunächst in den USA und Großbritannien und nachfolgend auch in ganz Europa eine kulturelle Veränderung.
Als Folge davon – besonders nach der Entscheidung von 1971 [Abkopplung des Dollars vom Gold], dem Gipfel von Rambouillet 1975 und ganz besonders in der Zeit nach 1982 – erlebte die Welt eine der schlimmsten Perioden der Degeneration und Dekadenz der neuzeitlichen europäischen Zivilisation.
In der Zeit vor 1964–71 glaubte die Welt an wirtschaftlichen Aufbau. Die Entwicklungsländer forderten nicht nur das Recht auf politische Freiheit, sondern auch auf eine landwirtschaftlich-industrielle Entwicklung, wie in Europa oder Nord- und Südamerika. Etwa in der Mitte der 60er Jahre kam es dann zu einem Wertewandel, der dem ähnelte, den das antike Rom nach dem Zweiten Punischen Krieg vollzog. Bis dahin setzten wir auf Produktion. Aber dann verwandelten wir uns in eine Konsumgesellschaft, die nichts mehr selbst produziert. Wie Rom in der Zeit nach dem Zweiten Punischen Krieg (218–201 vor Christus) wurden die USA und Europa nach und nach zu einer Konsumgesellschaft – vor allem nach der Einführung des Systems freier Wechselkurse 1971. „Globalisierung“ usw. waren nichts weiter als eine neue Form von Imperialismus, bei der wir die billigen Arbeitskräfte und Rohstoffe in den ärmsten Teilen der Welt ausbeuteten, damit wir in Europa und Amerika nur mit Kreditkartenschulden konsumieren und leben konnten.
Es ist eine gewaltige Vernichtung von Reichtum und der Fähigkeit, Reichtum zu produzieren, die auf der ganzen Welt stattgefunden hat. Wir haben die grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur zerstört – das Eisenbahnnetz, die Kraftwerke, das Stromnetz. Wir haben die Landwirtschaft und die wichtigsten industriellen Kapazitäten zugrunde gerichtet. Gleichzeitig haben wir, während unsere realen, physischen Produktionskapazitäten schrumpften, unsere finanziellen Verpflichtungen um ein Vielfaches erhöht.
Nun haben wir einen Punkt erreicht, an dem die ausstehenden kurzfristigen Schulden ungefähr zehnmal größer sind als das Bruttoinlandsprodukt der ganzen Welt. Meine Damen und Herren, wir sind bankrott: Die Nationen sind bankrott, die Bankensysteme sind bankrott. Und schuld an diesem Bankrott ist unsere eigene Politik. Die meisten Bankrotte sind eine Folge inkompetenten Managements oder inkompetenter Regierungen oder inkompetenter Zentralbanken.
Europas Zukunft
Das meine ich, wenn ich von einer Systemkrise spreche. Wir haben eine Krise der Kultur. Wir haben die Kultur, auf der die erfolgreiche Entwicklung der europäischen Zivilisation beruhte, zerstört. Wir zerstörten all das wesentliche Kapital in Form von Infrastruktur, Industrie und Landwirtschaft, von dem unser Wohlstand abhängt. Deshalb müssen wir das System ändern. Dies zwingt uns zu schnellen, grundsätzlichen Veränderungen in den Institutionen. Dabei sollten wir uns die besten Erfahrungen aus der Vergangenheit zunutze machen.
Europa beispielsweise ist unter den gegebenen Umständen hoffnungslos bankrott. Aber man findet etwa in Norditalien eine Schicht kleiner Privatunternehmen, von denen viele eine sehr aggressive Exportstrategie betreiben. Ihre Ergebnisse sind außerordentlich gut. Sie haben wenig (Fremd-)Kapital; der Inhaber ist auch der Firmenleiter. Sie sind innovativ und anpassungsfähig. Und sie sind in den anderen Ländern beliebt, weil sie nicht bloß als Verkäufer kommen, sondern als Partner.
Deutschland hat ein sehr großes Exportpotential. Deutschland exportiert viel nach Indien, und das stärkste Exportwachstum vollzog sich gegenüber China.
Wir können Europas Finanzen reorganisieren – auch unter den Bedingungen der Zahlungsunfähigkeit. Es gibt sehr vielversprechende langfristige Chancen in der Welt. Für Europa liegen sie besonders in Ost-, Südost- und Südasien. Wir können die russischen Schulden umstrukturieren und Rußland zu einem Vermittler zu Ost-, Südost- und Südasien machen.
Das bedeutet eine Reorganisation des Weltwährungssystems. Und es bedeutet, daß Europa sich zu einem Exportgiganten entwickeln muß, der die Bedürfnisse der Märkte in Ost-, Südost- und Südasien befriedigt. Dazu sind bestimmte institutionelle Veränderungen in Europa als expandierender gemeinsamer Markt notwendig.
Beispielsweise brauchen wir für langfristige Exporte langfristige Kredite über 25 Jahre mit Zinsen zwischen einem und zwei Prozent. Wir brauchen ein System fester Wechselkurse. Wir brauchen ein protektionistisches System. Man kann nicht auf 15 oder 25 Jahre langfristig in Asien investieren, wenn die Region, der man den Kredit gibt, nicht wirtschaftlich geschützt ist.
Alle diese Dinge sind möglich. Wenn wir neue Institutionen aufbauen oder die vorhandenen reformieren, können wir diese und andere Probleme auf der Welt grundsätzlich lösen. Man muß dazu alle existierenden Zentralbanksysteme einem geordneten Konkursverfahren unterziehen.
Die Utopier
Zum Schluß möchte ich einen wichtigen Punkt hervorheben, der sich auf die Gefahr eines Irakkrieges bezieht.
Was sind die Ursachen der Kriegsgefahr? Wer will diesen Krieg? Wenn man betrachtet, welche Gruppe von Leuten diesen Krieg will, stellt man fest, daß es Leute sind, die sich in der Zeit des Vietnamkriegs allesamt vor dem Militärdienst gedrückt haben. Hingegen sind die Leute, die heute vehement gegen einen Irakkrieg sind, hohe Offiziere – aktiv oder außer Dienst –, die im Vietnamkrieg als Leutnant, Hauptmann und Major gedient haben. Die Soldaten sind also die Friedensstifter, und die Drückeberger sind die Kriegstreiber! Einer davon ist Vizepräsident Dick Cheney. Und der Präsident selbst hat in der Nationalgarde gedient und sich so dem Dienst in Übersee entzogen. Der harte Kern der Berater des Präsidenten in der Kriegsfrage sind ehemalige Trotzkisten.
Ähnliches stellt man in Europa fest. Die Traditionalisten wollen diesen Krieg nicht. Sie wollen diese utopischen Pläne nicht. Sie wollen pragmatische institutionelle Lösungen für praktische Probleme.
Was sagt das aus?
Meine Feinde in den Vereinigten Staaten – und ich bin stolz darauf, daß sie meine Feinde sind – sind ideologische Anhänger von Bertrand Russell und Herbert George Wells, der den Gedanken einer globalen Utopie aufbrachte: einer Weltregierung, die mit einer Kombination aus Friedensbewegungen und der Drohung mit nuklearem Terror herrschen soll. Viele einfältige Menschen ließen sich von Russell und seinen Anhängern einnehmen. Sie wollten solche utopischen Modelle verwirklichen: „Oh, das klingt gut, ich bin dafür. Wenn wir das machen, dann haben wir eine vollkommene Gesellschaft.“
Diese weltfremden Fanatiker wollten eine solche Utopie von der Weltregierung verwirklichen. Das hatte vorher schon das antike Römische Weltreich versucht. Der Unterschied zwischen diesen Leuten und den römischen Legionären ist nur: Die römischen Legionen gründeten ihr Weltreich, als sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, während diese Narren heute ein Weltreich errichten wollen, wenn ihre geistigen und wirtschaftlichen Kräfte gerade auf dem Tiefpunkt sind.
Die Dinge, die Sie im italienischen Parlament und in anderen Institutionen diskutiert werden, sind bedeutsam. Wir sollten das in einen weltweiten Zusammenhang stellen – wir müssen es vor dem Hintergrund der heutigen weltweiten Gesamtlage betrachten, der wir uns jetzt gegenübersehen, und uns dabei auf dauerhafte, bewährte Rechtsprinzipien wie das Naturrecht stützen. Vor allem seit der Renaissance des 15.Jahrhunderts verfügt Italien in dieser Hinsicht über einen großes und reiches Erbe.
Die ersten neuzeitlichen Nationalstaaten entstanden in Frankreich unter Ludwig XI. und in England unter Heinrich VII. Im Schatten der Kuppel des Florentiner Domes von Brunelleschi wurde nach dem Finsteren Zeitalter des 14. Jahrhunderts die europäische Zivilisation wiedergeboren. Ich glaube – nach meinen Kontakten und Gesprächen hier zu urteilen –, der Grund, warum das italienische Parlament die Vorreiterrolle für eine Reform des Weltwährungssystems übernommen hat, liegt in diesem naturrechtlichen Erbe – ein Erbe der griechischen Klassik, der Apostel Paulus und Petrus und der Wiedergeburt der Klassik in der italienischen Renaissance des 15.Jahrhunderts. Die italienische Nation sollte sich darüber freuen, daß sie jetzt wieder diesen bedeutenden Beitrag leisten kann.
(Aus einer Rede, die der amerikanische Präsidentschaftskandidat Lyndon LaRouche am 23.November 2002 auf einer Konferenz zum Thema „Europas Sicherheitsbedürfnisse“ im „Casa d’Europa“ in Mailand gehalten hat.)