Zu diesem Thema war vom 13. März bis 18. Juli 2021 im Museum Barberini in Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Basel eine in mehrfacher Hinsicht beachtenswerte Ausstellung zu sehen. Beachtenswert zunächst, weil es heutzutage selten geworden ist, Gemälde Rembrandts auf Weltreise zu schicken. Hier wurden neun Bilder Rembrandts, dazu zwölf Radierungen und Federzeichnungen präsentiert. Da keines dieser Stücke aus dem bekannten, reichen Berliner Fundus stammte, stieß man auf einiges Neues oder selten Gezeigtes, zumal wenn man die Bilder aus dem Rembrandt-Umkreis und der Rembrandt-Schule mit einschließt. Es bestätigte sich auch, daß Rembrandt schon mit 21 Jahren eine beeindruckende Darstellungskraft besaß, die von keinem seiner Schüler jemals übertroffen wurde. (z. B. Büste eines alten Mannes mit Turban, 1627/29, The Kremer Collection). In Basel, dem nächsten Ausstellungsort, wird Rembrandts dramatisch komponierte Steinigung des heiligen Stephanus (Musée des Beaux-Atrs, Lyon) gezeigt, das er schon 1625, also mit 19 Jahren anfertigte.
Dem Besucher vermittelte sich einerseits der lebendige Einfluß des damaligen äußerst bereichernden Dialogs und der Kenntnis der Kulturen des Orients und Okzidents, denn diese Künstler waren offen, neugierig und unvoreingenommen und nahmen fast wie selbstverständlich eine für sie neue kulturelle Vielfalt der Levante und asiatischer Länder in ihre Kunst auf, studierten sie entsprechend der Quellenlage, ließen sich von ihrer Exotik begeistern.
Im Widerspruch dazu steht der unangenehme, doch heutzutage üblich gewordene relativistische und distanzfordernde Ansatz einer Kunst- und Zeitbetrachtung, der weder Identifizierung noch gar Begeisterung zuläßt. Künstler jedoch, die sich an den klassischen Prinzipien der Antike und der Renaissance orientiert haben, verstanden seit jeher Kunst als Wissenschaft, experimentierten und kamen zu immer neuen Erkenntnissen und waren frei von ideologischen oder materiellen Absichten.
Hier aber wurde gleich eingangs der politische Rahmen gesetzt: Der Titel „Rembrandts Orient“ sollte die Distanz zum Verständnis des „Orients“ zu Rembrandts Zeit verdeutlichen, denn dieses Verständnis des Orientalismus (gemeint sind die Länder des Nahen Ostens und der arabischen Welt) habe im 19. und 20. Jahrhundert eine eurozentristische Haltung und einen Autoritätsanspruch durchgesetzt, der uns bis heute belaste und sich nicht verändert habe. „Der Reichtum der niederländischen Oberschicht kam nicht zuletzt durch Gewalt und Unterdrückung im Fernen Osten zustande…“, heißt es weiter im Ausstellungskatalog. „… [D]ie Kehrseite dieser Weltaneignung wurde nicht dargestellt: das Machtgefälle zwischen den Kulturen, der sich auch in Sklaverei, Gewalt, Ausbeutung und Handelskriegen zeigte. … Die westöstliche Begegnung fand nicht auf Augenhöhe statt… das Fremde war ein reizvoller Kontrast zum Eigenen, aber es erregte kaum tiefergehende Anteilnahme. Das war bei Rembrandt nicht anders als bei seinen Zeitgenossen…“. Suggeriert wird auch, keiner habe den Orient wirklich gekannt, denn „unter den Hunderten niederländischer Maler des 17. Jahrhunderts findet sich kein einziger, der auf der Suche nach Inspiration in den Osten gereist wäre…“ (Gary Schwartz), der Orient und das Orientalische seien „ein Konstrukt aus Versatzstücken, Stereotypen und Imagination gewesen, das Interesse habe weniger den alten Kulturen gegolten, sondern mehr dem neuen Motivschatz und dem damit verbundenen Prestige. Viele der ausgestellten Bilder widersprechen dieser Einschätzung, wie weiter unten gezeigt wird.
In Wahrheit ist es die menschenverachtende Politik des anglo-holländischen Imperiums, das immer weiter versucht, sich die Welt zu unterjochen, damals mit ihren krakenhaften, berüchtigten Kompanien (Niederländische Ostindien-Kompanie, 1602 gegründet und ihr Pendent, die Westindische Kompanie, 1621 ins Leben gerufen), mithilfe derer sie ihre brutale Macht- und Ausbeutungspolitik betrieben, die an Raub, Mord, Sklavenhandel und anderer scheußlicher Verbrechen nicht ihresgleichen hat. Ihre Vertreter sind z. B. die hier dargestellten Herren Wollebrand Geleynsz de Jongh Caesar van Everdingen, 1674, (Stedelijk Museum Alkmaar) oder Don Francisco Lopes Suasso (Anonym, um 1675/90, Museum Amsterdam). Eine idyllische Szene auf dem Markt von Batavia wird gezeigt, im Hintergrund die imposante Festung der Ostindien-Kompanie. (J. F. F. nach Andries Beeckman, nach 1688, Tropenmuseum Amsterdam.) Beeckmann hielt sich im Dienst der Kompanie fünf Jahre im asiatischen Raum auf, kannte also die Zustände vor Ort genau. Batavia als deren asiatischem Hauptsitz entstand auf dem Gebiet des heutigen Jakarta. Die dortigen Einwohner wurden vertrieben, die Stadt zerstört und gegen ihren Willen Chinesen und Bantanesen angesiedelt, die dort zusammen mit tausenden Sklaven aus Indien, Bali oder dem heutigen Myanmar und noch mit ehemaligen Sklaven der Portugiesen leben mußten.
Demgegenüber prägten Respekt, Wertschätzung und ein anderes Weltbild der niederländischen Künstler zur Zeit Rembrandts die Sicht auf die orientalische Kultur. Ein schönes Beispiel ist der von Benjamin Gerritsz Cuyp liebevoll dargestellte Ein orientalischer Gelehrter, seinen Federkiel schneidend, um 1640/50 (The Kremer Collection).
Interessant sind vor allem die Beispiele im Ausstellungskatalog, die verdeutlichen, daß das Interesse insbesondere Rembrandts auch der Kunst Indiens galt. Sie zeugen auch entgegen obiger Behauptungen von genauer Kenntnis orientalischer Sitten, besonders der indischen Kultur. Es ist vielleicht gar nicht so bekannt, daß sich von ihm 25 Kopien von Mogul-Portraits erhalten haben, Zeichnungen nach indischen Motiven und Vorbildern, an denen er sich genau orientierte, die sich heute u. a. in London, Paris und Amsterdam befinden. Dazu gehört z. B. die Darstellung des damaligen Großmoguls Indiens, Schah Jajan, den er zu Pferde auf der Falkenjagd kopierte. Schah Jajan ist der Erbauer des berühmten Tadsch Mahal. Hier wird seine Zeichnung eines indischen Mogul-Prinz (Shah Shuja?) gezeigt, die er auf kostbarem Japanpapier anfertigte. (Um 1656/61, Albertina, Wien.)
Andere Werke spiegeln z. B. auch die Kenntnis der Astronomie in Ost und West wider und das Wissen über asiatische Religion: Das Bild Barend van Lin mit seinem jüngeren Bruder und seinem zukünftigen Schwager (Michiel van Musscher, 1671, Amsterdam Museum) zeigt den Mathematikprofessor und Geograph van Lin, umgeben von astronomischen Modellen und Instrumenten, wie Tellurium, Quadrant, Astrolarium u. a.; die Radierung Rembrandts Abraham Francen, um 1657 (Kunstmuseum Basel) zeigt seinen engen Freund am Tisch sitzend, auf dem sich eine asiatisch anmutende Statuette befindet, vielleicht ein aus China stammendes Meditationsobjekt.
Besondere Bedeutung kommt allerdings Rembrandts 1638 geschaffenem außergewöhnlichem Gemälde Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend zu. (Staatliche Kunstsammlungen Dresden.) Auch ohne mit Inhalt und Einzelheiten der Geschichte Simsons vertraut zu sein, spielen sich für den Betrachter erstaunliche Szenen am Hochzeitstisch ab. Interessant ist jedoch, wie der Indienreisende und Hofmaler des indischen Schahs Abbas II., Philips Angels, dieses Bild Rembrandts in einem Vortrag 1642 vor Malern in Leiden beurteilt und damit Rembrandts umfassende und gründliche Kenntnis orientalischer Sitten und Gebräuche bestätigt:
„Einst habe ich von Rembrandt eine Darstellung mit Simsons Hochzeit gesehen… Man kann darin sehen, wie dieser kluge Geist, indem er hier gründlich über die Art und Weise nachdachte, wie die Gäste am Tisch sitzen – oder besser gesagt liegen, denn die Alten benutzten Betten, auf denen sie lagen, und sie saßen nicht wie wir heute am Tisch, sondern lagen auf ihren Ellbogen, wie es noch in diesen Ländern unter den Türken gebräuchlich ist –, was er sehr schön wiedergegeben hat… Seht, diese Früchte der eigenen natürlichen Darstellung entstanden durch das sorgfältige Lesen der Geschichte und durch das Ergründen in hohen und weiten Reflexionen.“ (Hervorhebung durch den Autor).
Noch ein anderer Autor soll kurz erwähnt werden, nämlich der weitgereiste Maler und Zeichner Willem Schellinks (1623–1678). 1657 veröffentlichte er ein Gedicht Auf die Malkunst der Benjaner [Inder], in dem er seine Begeisterung für die indische Kunst ausdrückt:
„… Nun zeigt der gescheite Gujarati, ganz herrlich, auf dem seidenen Blatt,
seine Malerei so überaus edel, wie der Pinsel eines Künstlers je malen könnte:
Wodurch er, Europa zum Hohn sich der Malerkrone bemächtigt.… Welcher Künstler hätte je gedacht,
Dass dort die Kunst der Malerei zu den Höhen, zu den Sternen aufsteigen würde?
… Aber es ist dem Inder gelungen, der hat uns alle mit Kunst begeistert.
Dieser kulturelle Höhepunkt, wie ihn Rembrandt und seine Künstlerkollegen repräsentierten, aber auch die großen niederländischen Dichter (Pieter C. Hooft, Joost van den Vondel) ging einher mit einer Zeit der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Blüte, die nur wenige Jahrzehnte andauerte. Sie entsprang dem langen, mutigen, äußerst blutigen, aber letzlich erfolgreichen Freiheitskampf der Republik der Vereinigten Niederlande gegen die spanische habsburgische Oligarchie und die grausame Diktatur der katholischen Kirche, so wie es Friedrich Schiller so wie es Friedrich Schiller in Don Carlos und in seiner Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung beschrieben hat.
In vielen Wissenschaftsbereichen wurden die Niederlande führend in Europa, wo in dieser Zeit der 30-jährige Krieg tobte. Es ist sicher richtig zu behaupten, daß die Schriften des Erasmus von Rotterdam dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Staatsrechtler Hugo Grotius legte den Grundstein des Völkerrechts und rechtsstaatliche Prinzipien, es entwickelte sich eine Renaissance der Naturwissenschaften (Christiaan Huygens, Antoni van Leeuwenhoek), Wasserbauingenieure (Simon Stevin, Jan Adriaenszoon) führten moderne Methoden der Landgewinnung ein. Deichbau, Wasserregulierung, ingenieurtechnische Leistungen und der Mühlenbau waren entscheidend für Städtebau und Landwirtschaft.
Nach und nach jedoch gewann der britische Einfluß seine Macht zurück. Die Überdehnungpolitik der Kompanien trieb die Staaten in den finanziellen Ruin, und zahlreiche Kriege waren die Folge. Als sich der Statthalter Wilhelm III. von Oranien mit der englischen Königin, Tochter König Jakob II., Maria, verband, waren Holland und England faktisch in Personalunion vereint.
Es war übrigens England und die gleiche Britische Ostindien-Kompanie, die später Alexander von Humboldt eine lange geplante und vorbereitete große Reise versagte, die ihn u. a. nach Indien führen sollte, und für deren Vorbereitung er 1819 vom preußischen Staat schon 12.000 Taler erhalten hatte. Humboldt war bekanntermaßen ein erbitterter Gegner der Sklavenpolitik der Kolonialmächte und hätte die dortigen Zustände sofort publiziert und der Weltöffentlichkeit bekannt gemacht.
Die Bereitschaft aber zum Verständnis anderer Nationen und ihrer Kulturen ist die Voraussetzung für den Frieden in der Welt. Die beschriebene Ausstellung beleuchtete interessante Aspekte holländischer Künstler, die diese Orientierung hatten, verwirrte aber mit Widersprüchlichkeiten und einer falschen politischen Axiomatik.
Die Welt muß sich entscheiden, welchen Weg sie gehen will und die Zeichen an der Wand sehen. Das warnende Beispiel vor der herannahenden Katastrophe wird uns in der Ausstellung vor Augen geführt: Salomon de Brays Gemälde Simson reißt den Tempel Dagons ein, 1659 (Kunstmuseum Basel). In der Szene aus dem Alten Testament feiern die Philister im Obergeschoß eines stattlichen Gebäudes ahnungslos ein unbeschwertes Fest zu Ehren ihres Gottes Dagon. Das Unheil deutet sich an. Der von den Philistern geblendete und gefolterte Simson reißt die Säulen des Festgebäudes ein. Die eingeknickten Säulen haben bereits Risse, das Gebäude steht unmittelbar vor dem Einsturz. Die feiernde Gesellschaft realisiert die Gefahr nicht und bezahlt ihre Ignoranz mit dem Tod.