Der Weg von der Hölle zu Wissenschaft und Weltraumforschung
Schon vor 40 Jahren feierte das Schiller-Institut den großen Dichter und Humanisten Dante Alighieri, den Schöpfer der „Goldenen Renaissance“. Wie die Autorin schildert, ist bis heute vor allem in Krisenzeiten dessen Werk Die Göttliche Komödie für die italienische Bevölkerung überlebenswichtig.
In diesem Jahr feiern wir den 700. Todestag von Dante Alighieri (geb. 1265, Florenz, gest. 1321, Ravenna). Der italienische Dichter schuf die italienische Sprache in einer Zeit, in der Italien eine Ansammlung von Stadtstaaten war, die oft gegeneinander Krieg führten. Der Oberschicht war die lateinische Sprache vorbehalten, das Volk kannte nur Dialekte. Wie LaRouche oft betonte, ist die Nationalsprache zutiefst mit dem Nationalstaat verbunden, und Dante schuf die italienische Sprache bewußt, um Italien von der damals herrschenden Oligarchie zu befreien und einen souveränen Nationalstaat zu schaffen.
Vor der Commedia schrieb Dante um 1303/1306 das Werk De Vulgari Eloquentia (Von der italienischen Hochsprache), in dem er sich über alle italienischen Dialekte lustig macht und wie sie von der Oligarchie benutzt werden, um die Bevölkerung in Unwissenheit und Sklaverei zu halten.
Mit seiner De Monarchia (Über die Monarchie) skizzierte er 1316 das Projekt eines Nationalstaats, der auf dem Gemeinwohl basiert, und er forderte den damaligen Kaiser Heinrich VII. auf, Italien von Stadtstaaten und Kriegen zu befreien. Dante machte es wie LaRouche, er schrieb an Könige und Kaiser, um ihnen sein Projekt für Frieden und das Gemeinwohl vorzuschlagen. Dante und Heinrich VII. (in Aachen geboren) waren sich sogar begegnet, und als Heinrich am 25. Juni 1312 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, waren seine Hoffnungen groß. Leider starb Heinrich schon nach einem Jahr seiner Regentschaft, am 24. August 1313, und mit seinem Tod zerschlugen sich die politischen Hoffnungen Dantes. Aber im Paradies lobt er ihn als „alto Arrigo”, den „hohen Heinrich”.
Was war Dantes Projekt und weshalb wandte er sich an Heinrich VII.?
In De Monarchia vertritt Dante die Ansicht, der Kaiser müsse die politische Weltherrschaft ausüben, damit die göttliche Ordnung verwirklicht werden kann. Dies war die Zeit des Kampfes zwischen Papst und Kaiser um die Vorherrschaft.
Nach Dante ist das Hauptprinzip unserer Freiheit der freie Wille. (Ein Konzept, das auch bei Schiller vorkommt, denn Schiller sagt, der freie Wille ist das, was den Menschen vom Tier unterscheidet.)
„Diese Freiheit, oder dieser Urquell unsrer ganzen Freiheit ist das größte der menschlichen Natur von Gott verliehene Geschenk ist, weil wir dadurch hier als Menschen und dort als Götter beglückt werden…. Das menschliche Geschlecht ist einzig unter einem Monarchen seiner selbst wegen und nicht eines Andern wegen da. Denn dann allein werden Staaten falsch verwaltet, ich meine die Demokratieen, Oligarchieen und Tyranneien, weil sie die Menschen zu Sklaven machen…“((Dante Alighieri, De Monarchia, erstes Buch, übersetzt von Karl Ludwig Kannegießer, Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig 1845.))
Wie der große Humanist und Denker Nikolaus von Kues 150 Jahre später schreibt hier Dante über die Beziehung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos:
„Hieraus ergibt sich, daß die Güte der theilweisen Ordnung die Güte der ganzen Ordnung nicht übertrifft, sondern vielmehr umgekehrt.“
Dante selbst war politisch mit den Ghibellinen liiert, den Parteigängern des Kaisers. 1295 trat er der Zunft der Apotheker und Ärzte bei und schaffte damit die formalen Voraussetzungen, ein politisches Amt übernehmen zu können. 1295–96 war er Mitglied im Rat des „Capitano del Popolo“ (“Stadthauptmann”), 1296 im Rat der Hundert.
Er war führend in der ghibellinischen Fraktion engagiert, im Gegensatz zur welfischen Fraktion (Guelfen), die loyal zu Papst Bonifatius VIII. stand, einem korrupten Papst, der Dante schließlich wegen seiner wichtigen politischen Rolle 1301 ins Exil schickte. Aus diesem Grund konnte Dante nie wieder in seine Geburtsstadt Florenz zurückkehren.
Er schrieb die Commedia im Exil, zwischen 1307 und seinem Tod im Jahr 1321 in Ravenna, wo er begraben ist.
Seine Divina Commedia (Göttliche Komödie) ist nicht nur ein Meisterwerk der Poesie, sondern umfaßt alle Bereiche seiner Zeit – Geschichte, Religion, Staatskunst, Wirtschaft und Wissenschaft. Wie Boccaccio in seiner Vita di Dante (Das Leben Dantes) berichtet, wurde sie nach ihrer Veröffentlichung bei der Bevölkerung sofort sehr populär, sie wurde in Kirchen oder auf der Piazza gelesen, rezitiert und diskutiert. Dies wird übrigens noch heute von einer Reihe klassischer Schauspieler wie Vittorio Gassman oder Roberto Benigni und ihren „lectura Dantis“, der Rezitation und Erläuterung von Dantes Commedia, als Tradition gepflegt. Wie Giuseppe Verdi und seine Opern wurde Dante in Italien als Dichter und politischer Führer zu einem Nationalhelden. Viele Verse aus der Commedia sind bis heute in der Alltagssprache gebräuchlich, wie z. B. „Non ti curar di lor, ma guarda e passa“, die volkstümliche Version von „Non ragioniam di lor, ma guarda e passa“ („Laßt uns nicht über sie sprechen, sondern nur schauen und vorbeigehen“) oder, was auch Odysseus seinen Männern sagt: „Fatti non foste a viver come bruti ma per seguir virtute e canoscenza“ („Ihr seid nicht geschaffen, um als Bestien zu leben, sondern um Tugend und Wissen zu folgen“).
Aber Dante ist nicht nur der italienischen Nation lieb und teuer, besonders im letzten leidvollen Jahr der Corona-Pandemie. Er ist auch ein Beispiel für das, was Helga Zepp-LaRouche oft einen „Dialog der Kulturen“ nennt. In seiner Commedia stellt er Avicenna, den bedeutendsten persischen Gelehrten – Arzt, Naturwissenschaftler, Philosoph und Dichter – neben Platon und Sokrates in die „Vorhölle“ unter jene Philosophen, die nicht ins Paradies kommen konnten, weil sie nicht dem christlichen Glauben angehörten, aber sie waren gerecht und ein Bezugspunkt für den Dichter. Er zitiert Avicenna auch in seiner Abhandlung Convivio (Gastmahl) von 1306 in seiner recht genauen Beschreibung der Milchstraße.
1919 veröffentlichte der spanische Islamwissenschaftler und Gelehrte der arabischen Sprache, Don Miguel De Palacios (1871–1944), die Studie La Escatologia Musulmana en la Divina Comedia (Die muslimische Eschatologie in der Göttlichen Komödie), in der er Dantes Wanderung durch die drei Jenseitsbereiche mit wichtigen Werken der arabischen Renaissance vergleicht, einschließlich Avicenna, in denen die Hölle auf ähnliche Weise beschrieben wird: ein trichterförmiger Abgrund, aufgebaut aus konzentrischen Ringen oder Kreisen (7 im Islam, 9 bei Dante, plus der Vorhölle). Indem er Avicenna zitiert, gibt Dante das Leuchtfeuer der arabischen Renaissance weiter, das auf antiken griechischen und indischen Gelehrten basiert und die Goldene Renaissance ermöglichte.
Heute ist es wichtig, seine Reise von der Hölle ins Paradies wieder zu erleben, um eine neue Renaissance zu ermöglichen, die auf Poesie und Wissenschaft basiert. Wenn man auf YouTube das Video mit der Rezitation des Schauspielers Gassman vom ersten Gesang des Infernos sucht,((https://www.youtube.com/watch?v=aBGq11ODudA)) findet man darüber viele Kommentare von ganz normalen Menschen, die es sich noch einmal angehört und gelesen haben. Während der Corona-Pandemie im letzten Jahr, in dem das öffentliche Leben in Italien still stand und die Bevölkerung fast die ganze Zeit eingeschlossen war und es immer noch ist, mit der höchsten Zahl an Todesopfern in Europa – 100.000 –, wurde vielen klar, was Dante am Anfang der Commedia mit den eröffnenden Terzinen schrieb, von der Angst vor dem Tod und dem dunklen Wald, in dem er sich befand.
Die Göttliche Komödie von Dante
„Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura
chè la diritta via era smarrita.Ah quanto a dir qual era è cosa dura
esta selva selvaggia e aspra e forte
che nel pensier rinnova la paura!Tant’è amara che poco è più morte;
ma per trattar del ben ch’io vi trovai,
dirò de l’altre cose ch’io v’ho scorte.“„Grad in der Mitte unserer Lebensreise
Befand ich mich in einem dunklen Walde,
Weil ich den rechten Weg verloren hatte.Wie er gewesen, wäre schwer zu sagen,
Der wilde Wald, der harte und gedrängte,
Der in Gedanken noch die Angst erneuert.Fast gleichet seine Bitternis dem Tode,
Doch um des Guten, das ich dort gefunden,
Sag ich die andern Dinge, die ich schaute.“((Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Übers. v. Hermann Gmelin. Stuttgart: Reclam, 2020. S. 7.))
In diesen Anfangsterzinen hört man bereits die Kraft und Musikalität seiner poetischen Sprache, die Verwendung von lautmalerischen Klängen, d. h. Klänge, die die Idee seines Konzepts oder des Gefühls vermitteln. In diesem Fall die Angst, betont durch die vielen gerollten „R“-Laute: „esta selva selvaggia e aspra e forte che nel pensier rinnova la paura. Tant’è amara che poco è più morte“ („paura“, „morte“, „amara“ sind „Angst“, „Tod“, „bitter“).
Dante befindet sich in der Mitte seines Lebens (der Dichter war 35 Jahre alt und im Exil). Er ist entsetzt und weiß nicht, wie er aus diesem dunklen Wald herauskommen soll. Zum Glück begegnet er dem berühmten Dichter Vergil aus der Antike (kurz vor Christi Geburt), den er „il sommo poeta“, den obersten Dichter, aber auch „Duca e Maestro“ („Führer und Meister“) nennt und der ihn auf der schwierigen Reise durch Hölle und Fegefeuer führen wird, während er diese Rolle im Paradies an Beatrice abgibt, die „engelsgleiche Frau“ des „Dolce stil novo“ (einer poetischen Bewegung „süßer neuer Stil“).
Beatrice erscheint bereits im zweiten Gesang (Inferno), als Dante beginnt, an seiner Fähigkeit zu zweifeln, diese Reise zu überstehen. Er sagt: „Ich bin nicht der heilige Paulus oder Aeneas“. (Paulus spricht im zweiten Brief an die Korinther über seine Reise ins Paradies, während Virgils Held Aeneas das Reich der Toten besucht.) Drei Frauen helfen Dante, seine Ängste und Zweifel zu überwinden: Beatrice ist die erste, sie erscheint in diesem Canto, und sagt: „io son Beatrice, che ti faccio andare“ („Beatrice bin ich, die dich aufzubrechen heißt“.); die zweite ist die Jungfrau Maria, Mutter Gottes, die Beatrice bittet, bei der heiligen Lucia (der dritten Frau) für Dante Fürsprache einzulegen. Und Beatrice wird eine sehr wichtige Rolle im Paradies spielen, wo sie nicht nur die von Dante geliebte engelsgleiche Frau des „Dolce stil novo“ darstellt („amor mi mosse, che mi fa parlare“, dt. „Liebe bewegt mich, die mich reden läßt“), sondern auch die Offenbarung Gottes und die Wissenschaft. Sie wird Dante die Physik der Sphären erklären.
Der dritte Gesang öffnet mit der berühmten Schrift am Höllentor:
„Per me si va ne la città dolente,
per me si va ne l’etterno dolore,
per me si va tra la perduta gente.Giustizia mosse il mio alto fattore;
fecemi la divina podestate,
la somma sapïenza e ’l primo amore.Dinanzi a me non fuor cose create
se non etterne, e io etterno duro.
Lasciate ogne speranza, voi ch’intrate.“„Durch mich geht man hinein zur Stadt der Trauer
Durch mich geht man hinein zum ewigen Schmerze,
Durch mich geht man zu dem verlornen Volke.Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer,
Geschaffen haben mich die Allmacht Gottes,
Die höchste Weisheit und die erste Liebe.Vor mir ist kein geschaffen Ding gewesen,
Nur ewiges, und ich muß ewig dauern.
Laßt jede Hoffnung, wenn Ihr eingetreten.“((Ebenda, S. 14.))
„Lasciate ogni speranza voi ch’entrate“ ist eine der vielen Verse von Dante, die volkstümlich geworden sind. Hier begegnet Dante den „lauen“ Seelen, die, wie Virgil sagt, „visser sanza ’nfamia e sanza lodo“, ohne Schande und ohne Lob gelebt haben, die nie Stellung zu irgend etwas bezogen und weder gut noch böse waren. Dante verachtete offensichtlich solche Menschen, die zu seiner Zeit, wie auch heute, nichts tun, um die Welt zu verbessern, und denen Kriege, Armut und Ungerechtigkeit gleichgültig sind. Das drückt er aus, wenn er schreibt: ihr blindes Leben ist so niedrig, daß sie neidisch sind auf jedes andere Schicksal. Auch der Vers „Non ragioniam di lor, ma guarda e passa“ wird heute noch oft vereinfacht in der italienischen Umgangssprache benutzt: „Non ti curar di lor, ma guarda e passa.“ („Achte nicht auf sie, sondern schau und geh weiter.“)
„Questo misero modo
tegnon l’anime triste di coloro
che visser sanza ’nfamia e sanza lodo.Questi non hanno speranza di morte,
e la lor cieca vita è tanto bassa,
che ’nvidïosi son d’ogne altra sorte.Fama di loro il mondo esser non lassa;
misericordia e giustizia li sdegna:
non ragioniam di lor, ma guarda e passa.“„Solch elend Leben müssen
Die trüben Seelen jeder Menschen führen,
Die ohne Lob und ohne Schande lebten.Sie haben keine Hoffnung, je zu sterben,
Und also niedrig ist ihr blindes Leben,
Daß sie ein jedes andre Los beneiden.Die Erde läßt von ihnen keine Spuren,
Von Recht und Mitleid werden sie verachtet.
Sprich nicht von ihnen, schau und geh vorüber.“((Ebenda, S. 15.))
Im Inferno begegnet Dante vielen Sündern seiner Zeit, darunter Papst Bonifatius, der ihn ins Exil schickte, oder Graf Ugolino, der mit seinen Kindern von einem anderen korrupten Mitglied der Kirche ins Gefängnis gesteckt wurde und zusehen mußte, wie seine Kinder im Kerker verhungerten (eine Episode, die Goethe als eine der stärksten in Dichtung und Tragödie bezeichnete).
Aber der vielleicht aufschlußreichste Gesang für Dantes Vorstellung von wirtschaftlicher Gerechtigkeit ist Canto XVII. Hier begegnet er Wucherern, die zusammen mit Sodomiten für ihre Sünden gegen „Natur und Arbeit“ bestraft werden („natura ed arte“). Hier ist Kunst nicht als künstlerisches Schaffen gemeint, sondern einfach als Arbeit, im Gegensatz zu dem, was Dante „sùbiti guadagni“, „eilige Gewinne“, nennt. In diesem Begriff, sehen viele Dante-Gelehrte eine starke Kritik Dantes nicht nur an Wucherern, sondern auch an Spekulanten. (Dies war die Zeit, als die großen Bankhäuser begannen, aus Geld schnell Geld zu machen, im Gegensatz zur Arbeit.) Und dann, im siebten Kreis der Hölle, beschreibt Dante die Wucherer und Laster gegen die Natur (Sodomiten), wie sie in einer vom feurigen Regen überströmten Wüste bestraft werden für ihre Sünden gegen Natur und Arbeit.
Schon vorher, im Canto XI sagte Dante über die Wucherer:
„Perché l’usuriere altra via tene
per sè natura e per la sua seguace
dispregia, poi ch’in altro pon la speme.“„Doch da der Wuchrer andere Wege wandelt,
Verachtet er Natur und die ihr folget,
Da er auf andres seine Hoffnung setzte.“((Ebenda, S. 46.))
Also der Wucherer wandelt andere Wege als dem in der Genesis vorgeschriebenen „dal divino ’ntelletto e da sua arte” („vom göttlichen Intellekt und seiner Arbeit“). Dante sagt: „Convene prender sua vita e avanzar la gente”, d. h.: „Es ist besser, Menschen voranzubringen”, ein Konzept, das später LaRouche in seiner Schrift Christentum und Wirtschaft entwickeln wird. Er sagt also, die Wucherei „beleidigt die göttliche Güte” („offende la divina bontade”).
Weiter in Canto XVII setzt Dante seine Anklage gegen den Florentiner Adel und die Oligarchie aus dem vorherigen Canto fort. Und in diesem Kreis treffen Dante und Virgil auf Geryon, einen der vielen Dämonen des Inferno, der den Betrug repräsentiert („quella sozza immagine di frode”, wörtlich: „jenes schmutzige Bild des Betrugs“). Die Wucherer haben zu ihrer Identifikation Geldbeutel mit den Familienwappen um den Hals hängen. Wenn Dante die Commedia heute schreiben würde, müßten wir in diesem Kreis Leute wie Mark Carney, George Soros, Klaus Schwab, Mario Draghi und alle Vertreter des Great Reset finden, die alle in der Ewigkeit verbrannt werden.
Im Purgatorium/Läuterungsberg (Fegefeuer), wo die Sünder auf göttliche Gnade hoffen, gibt es im Unterschied zu den nach unten führenden Kreisen der Hölle sieben Stufen, die auf einem Kegel nach oben führen. Dort finden wir in aufeinanderfolgenden Ringen die Stolzen, die Neidischen, die Zornigen, die Trägen, die Geizigen, die Schlemmer und die Wollüstigen. Im Unterschied zum Inferno haben die Sünder hier Hoffnung auf Vergebung und Läuterung. Und ein wichtiger Teil der Läuterung ist das Singen. Im Inferno gibt es nämlich keine Musik, nur Schreie und fürchterliche Geräusche:
„Quivi sospiri, pianti e alti guai
risonavan per l’aere sanza stelle,
per ch’io al cominciar ne lagrimai.Diverse lingue, orribili favelle,
parole di dolore, accenti d’ira,
voci alte e fioche, e suon di man con elle…“„Dort hört ich Seufzer, Klagen, Weherufe
In einer sternenlosen Nacht ertönen,
Weshalb ich erst in Tränen ausgebrochen.Verschiedne Sprachen, wilde Schreckenslaute,
Worte des Schmerzes und Geschrei des Zornes,
Schrille und heisre Stimmen, Händeschlagen…“((Ebenda, S. 15.))
Aber im Purgatorium hört man Musik, besonders das Singen von Chören, weil diese notwendige Disziplin Teil des Läuterungsprozesses ist. Die Seelen finden Frieden und Harmonie, indem sie zusammen singen:
„Da poppa stava il celestial nocchiero,
tal che faria beato pur descripto;
e più di cento spirti entro sediero.’In exitu Isräel de Aegypto’
cantavan tutti insieme ad una voce
con quanto di quel salmo è poscia scripto.“„Am hintern Ende stand der Himmelsbote,
In seinem Aug‘ stand Seligkeit zu lesen,
Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.‚In exitu Israel de Aegypto‘,
So sangen allesamt mit einer Stimme,
Und alles, was noch folgt in diesem Psalme.“((Ebenda, S. 142.))
Im zweiten Gesang begegnet Dante auch seinem Freund, dem Musiker Casella, der für ihn „Amor che ne la mente mi ragiona“ singt („Die Liebe, die in meinem Geiste redet“).
Im Paradies wird die Musik noch schöner und ganz polyphonisch – die Harmonie der himmlischen Sphären. Dantes Aufstieg ins Paradies beginnt nach seiner Zeitangabe ein paar Tage nach Ostersonntag. Dante und Beatrice werden durch eine Art himmlische Schwerkraft in den Himmel gehoben. Sie besuchen die einzelnen Himmelsstufen (Mond, Merkur, Venus, die Sonne, Mars, Jupiter, Saturn, die Fixsterne und schließlich das „Primum Mobile“, die Hauptursache der Bewegung, die Gott selbst ist). Während ihres Aufstiegs diskutieren sie Fragen der Religion, einschließlich der Rolle der Vorsehung, die durch indirekte Mittel, aber auch durch individuelle Seelen wirkt und die Menschen auf verschiedene Weise lenkt, aber auch Fragen der Wissenschaft, wobei Beatrice z. B. die Physik der Sphären und neun Hierarchien der Engelsmächte erklärt.
Dante kann kurze Blicke auf die glühende Sonne (das Licht des Himmels, das Gott repräsentiert) ertragen und beendet den letzten Gesang des Paradiso und seiner Commedia mit diesen schönen Worten: „l’amor che move il sole e l’altre stelle“ („Die Liebe, die Sonne rollt/bewegt uns Sterne“). Und wie bei Beethoven oder Mozart, bei denen das musikalische Thema des Anfangs wiederkehrt, werden wir damit an das Ende der Hölle erinnert, „e quindi uscimmo a riveder le stelle“ („und schließlich traten wir hinaus, um die Sterne wieder zu sehen“).
Und dank Dante und seiner Poesie verstehen wir, daß wir aus der Hölle, aus der pandemischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise, herauskommen werden, indem wir zu den Sternen aufschauen.