Die atemberaubende Schönheit der Kunst von Ife, Nigeria, aus dem 12. Jahrhundert widerlegt die koloniale Sichtweise, nach der Afrika vor allem ein von Tieren bevölkerter unberührter Kontinent war, deren primitive Stämme nicht über die ersten „Schritte in die Geschichte“ hinauskamen.
Die heute von einer halben Million Menschen bewohnte Stadt Ife im Südwesten Nigerias war früher das religiöse Zentrum und die frühere Hauptstadt des Yoruba-Volkes, dessen Wohlstand im wesentlichen auf dem Handel mit den Völkern Westafrikas entlang des 4200 Kilometer langen Flusses Niger und darüber hinaus beruhte. Das heute von rund 55 Millionen Menschen bewohnte Yorubaland erstreckte sich über eine Fläche von 142.000 Quadratkilometern und umfaßte große Teile von Ländern wie dem heutigen Nigeria (76 Prozent), Benin (18,9 Prozent) und Togo (6,5 Prozent).
Heute leben die Nachkommen der Yoruba in Ghana, Burkina Faso, der Elfenbeinküste und – seit dem Sklavenhandel – auch in den Vereinigten Staaten. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Yoruba, eine der drei Hauptsprachen Nigerias, auch in Teilen Benins und Togos sowie auf den Westindischen Inseln und in Lateinamerika, einschließlich Kuba und anderen von Nachkommen afrikanischer Sklaven bewohnten Gegenden gesprochen wird.
Eine außergewöhnliche Entdeckung
Im Januar 1938 entdeckten Arbeiter bei Aushubarbeiten für den Bau eines Hauses im Wunmonije-Viertel von Ife einen ungewöhnlichen Schatz. Nur hundert Meter vom ehemaligen Königspalast entfernt stießen sie auf dreizehn prächtige Bronzeköpfe aus dem 12. Jahrhundert, die einen König (Ooni), einige Frauen und Höflinge darstellen. Inzwischen wurden weitere Köpfe gefunden.
Ihre Gesichter sind mit Ausnahme der Lippen mit Rillen bedeckt. Der Kopfschmuck suggeriert eine Krone von komplexer Konstruktion, die aus verschiedenen Schichten von röhrenförmigen Perlen und Quasten besteht. Die Krone wird von einem Kamm gekrönt, mit einer Rosette und einer Feder, die jetzt leicht zur Seite gebogen ist. Die Oberfläche der Krone enthält Reste von roter und schwarzer Farbe.
Die Köpfe könnten als Abbilder von Verstorbenen bei Beerdigungszeremonien verwendet worden sein, die bei den Yoruba manchmal erst ein Jahr nach der durch das tropische Klima erzwungenen schnellen Bestattung der Toten stattfanden.
Zum Zeitpunkt der Entdeckung wurde die äußerst naturgetreue Darstellung der Köpfe als anachronistisch in der Kunst des subsaharischen Afrikas angesehen und galt sogar noch unpassender als die sehr „klassischen“, d. h. realistischen „Mumienporträts“ (1. bzw. 2. Jahrhundert), die bereits 1887 in der Faiyum-Senke in Ägypten entdeckt wurden.
Eine lange Tradition der figürlichen Bildhauerei mit ähnlichen Merkmalen wie die Bronzeköpfe von Ife gab es jedoch schon vorher, insbesondere bei den Nok, einem Bauernvolk, das schon 800 v. Chr. die Eisenbearbeitung beherrschte.
Ablehnung einer eigenständigen afrikanischen Kunst
Seit 1938 sind die „Köpfe von Ife“ in Europa und im Westen insgesamt Anlaß zu nahezu hysterischen Reaktionen. Einerseits kamen diese von den „Modernisten“ und „abstrakten Künstlern“ des frühen 20. Jahrhunderts, für die eine Skulptur um so mehr als typisch afrikanisch gilt, je abstrakter sie ist und je weiter sie sich von der Realität entfernt. Somit bedeuteten die Köpfe von Ife für jene, die die afrikanische „abstrakte Kunst“ als Befreiung vom sogenannten materialistischen Naturalismus betrachteten, eine radikale Infragestellung ihres scheinheiligen Narrativs.
Für die Anhänger des Kolonialimperialismus hingegen durfte es diese Kunst einfach nicht geben. Frank Willett, seinerzeit Leiter der nigerianischen Altertumsbehörde und Autor von Ife, an African civilization (Editions Tallandier, 1967), berichtete, daß „Europäer, die Ife besuchen, sich häufig fragen, wie Menschen, die in Häusern aus getrocknetem Lehm mit Strohdächern leben, so schöne Objekte wie die im Museum ausgestellten Bronzen und Terrakotten herstellen konnten“. Auch der Verleger Sir Mortimer Wheeler versuchte, diese Frage zu beantworten und erklärte: „Das Vorurteil lebt weiter, daß es künstlerisches Schaffen und Empfinden ohne heimisches Talent und Sanitärkomfort nicht geben kann!“
Die Fragen der Europäer waren zahlreich. Wie konnten primitive Völker, die noch nie eine organisierte Staatsform kannten, im 12. Jahrhundert Bronzeköpfe von solcher Feinheit herstellen und dabei Techniken anwenden, die selbst in Europa zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt waren? Wie war es möglich, daß Stämme, die von Aberglauben und irrationaler Magie beherrscht waren, die menschliche Anatomie so akribisch beobachteten? Wie konnten Wilde so edle Gefühle gegenüber Männern und Frauen zum Ausdruck bringen? Angesichts dieser scheinbar unauflösbaren Widersprüche war totale Ablehnung und Leugnung die einzige Antwort.
Als der deutsche Archäologe Leo Frobenius die Bronzeköpfe präsentierte, wollten westliche Experten die Existenz einer afrikanischen Zivilisation nicht wahrhaben, die Artefakte einer Qualität hinterlassen konnten, die sie als vergleichbar mit den besten künstlerischen Leistungen des alten Roms oder Griechenlands ansahen. In einem verzweifelten Versuch, diese vermeintliche Anomalie zu erklären, stellte Frobenius ohne den geringsten Anschein eines Beweises die Theorie auf, daß diese Köpfe von einer im 13. Jahrhundert v. Chr. gegründeten griechischen Kolonie gegossen worden wären; auf diese könnte die Legende von der untergegangenen Zivilisation von Atlantis zurückgehen – eine Version, die von den Massenmedien sofort willig übernommen wurde.
Hochentwickelter Bronzeguß
Was westliche Experten zunächst überraschte, war die Tatsache, daß es sich bei den Köpfen nicht um geschnitztes Holz, sondern um einen hochentwickelten Bronzeguß handelte (etwa 70 Prozent Kupfer, 16,5 Prozent Zink und 11,3 Prozent Blei).
In Anbetracht der extremen Knappheit von Kupfererz in Nigeria zeigen diese Objekte, daß die Region Handelsbeziehungen mit weit entfernten Ländern unterhalten haben mußte. Man nimmt an, daß das Erz aus Mitteleuropa, aus dem Nordwesten Mauretaniens, aus dem Byzantinischen Reich oder über den Niger aus Timbuktu kam, wo das Erz auf Kamelen aus Südmarokko eintraf.
In der Jungsteinzeit wurden zwar bereits Kupfer-, Gold- und Silberklumpen kalt oder heiß gehämmert, doch der Mensch entwickelte erst ab der Bronzezeit die eigentliche Wissenschaft der Metallurgie. Aus Erzen konnten dann durch gezielte Hitzeeinwirkung Metalle gewonnen werden, was auf der Erfahrung der damaligen Töpfer beruhte, die sich mit dem Bau von Einbrennöfen auskannten.
Kupfer schmilzt erst bei 1083 Grad Celsius, aber durch Zugabe von Zinn (das bei 232 Grad schmilzt) und Blei (das bei 327 Grad schmilzt) ist es möglich, Bronze bei 890 Grad und Messing bei 900 Grad zu gewinnen. Terrakotta wird bei einer niedrigen Temperatur von 600 bis 800 Grad gebrannt. Es sei darauf hingewiesen, daß in China seit der Shang-Dynastie (1570–1045 v. Chr.) bestimmte Arten von Porzellan dank der Verwendung von Holzkohle bei viel höheren Temperaturen, zwischen 1000 und 1300 °C, gebrannt wurden.
Man geht davon aus, daß die ältesten Keramikfunde in Afrika südlich der Sahara auf etwa 9000 v. Chr. zurückgehen, vielleicht sogar noch früher. In Westafrika, in diesem Fall Mali, wurden Scherbenfragmente entdeckt, die sogar auf das Jahr 12.000 v. Chr. datiert werden. Keramik wurde auch weiter südlich hergestellt, insbesondere von der Nok-Kultur in Nordnigeria zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends.
Wachsausschmelzverfahren
Die Experten überraschte ebenfalls die Herstellungstechnik, da es sich um das recht komplizierte sogenannte „Wachsausschmelzverfahren“ handelte, ein Präzisionsgießverfahren, das auch heute noch zur Herstellung von Kirchenglocken verwendet wird. Dabei wird zunächst ein Modell aus Wachs hergestellt. Dieses überzieht man mit einer Masse aus feinem Ton, um eine Form zu bilden, die dann erhitzt werden muß, so daß das Wachs ausschmilzt, während die Tonform aushärtet. In jene Tonform kann dann geschmolzenes Metall gegossen werden. Nach dem Erkalten bricht man die Form, um das fertige Objekt freizugeben.
Es liegt auf der Hand, daß Gießereien, die solche Gegenstände herstellten, hochqualifizierte Fachkräfte benötigten.
Über die außergewöhnlichen Kenntnisse und Fertigkeiten der Bronzegießer von Ife verfügten bereits die Menschen von Igbo-Ukwu im Osten Nigerias, wo 1939 ein mit Artefakten aus dem 9. Jahrhundert gefülltes Grab entdeckt wurde, das die Existenz eines mächtigen und hoch entwickelten Königreichs offenbarte, das die berühmte Technik des Wachsausschmelzens beherrschte, aber bisher mit keiner anderen Kultur in der Region in Verbindung gebracht werden konnte.
Das älteste bekannte Beispiel für die Technik des Wachsausschmelzens ist ein 6000 Jahre altes radförmiges Kupferamulett, das in Mehrgarh im heutigen Pakistan gefunden wurde. Obwohl in China, Griechenland und Rom diese Technik beherrscht wurde, kam sie in Europa erst in der Renaissance wieder zum Einsatz.
Ife, ein organisierter Staat
Das Kunsthandwerk von Ife stellte die koloniale Theorie eines „unberührten“ Afrikas in Frage. Jeder Nachweis für die Existenz von Imperien, gut organisierten Königreichen oder großen Staaten auf dem afrikanischen Kontinent, die es den Afrikanern ermöglichten, sich jahrhundertelang friedlich selbst zu regieren, war ein Schlag gegen die „zivilisatorische Mission“ des Kolonialismus.
Mündlichen Überlieferungen zufolge wurde Ife im 9. bis 10. Jahrhundert von König Oduduwa durch den Zusammenschluß von 13 Dörfern zu einer einzigen Stadt gegründet, die zum Mittelpunkt der Yoruba-Mythologie wurde, die Ife als die Wiege der Menschheit und als das Zentrum der Welt betrachtet.
Der als Gottheit anerkannte Oduduwa wurde der erste König (Ooni) und ließ sich einen Palast (Aafin) errichten. Er regierte aber mit Hilfe von ehemaligen Dorfvorstehern (Isoro), die sich auch einen religiösen Titel zugelegt hatten, und der politischen Autorität des Königs unterstellt waren.
Nach denselben mündlichen Überlieferungen soll Oduduwa ein verbannter Prinz eines fremden Volkes gewesen sein, der seine Heimat verließ und mit seinem Gefolge nach Süden zog, wo er sich um das 12. Jahrhundert unter den Yoruba niederließ. Er und seine Anhänger erachteten ihren religiösen Glauben für so bedeutungsvoll, daß er der Grund für ihren Exodus gewesen sein könnte.
Das Land oder die Herkunft Oduduwas ist nach wie vor umstritten. Für die einen kam er aus Mekka, für die anderen aus Ägypten, wie die technischen Fähigkeiten, die er mitbrachte, beweisen sollen.
Die meisten Historiker untersuchten bislang Einflüsse, die über das Meer und die Wasserwege kamen. Man kann jedoch auch der sehr plausiblen Hypothese folgen, daß Reisewege durch die Savanne das Nigerdelta mit dem Nil verbunden haben könnten, wie eine Art große transkontinentale Landbrücke, die insbesondere über den Tschad führte, eine Region, in der Tausende von frühen Höhlenmalereien von der Lebendigkeit bildnerischer Gestaltungskunst zeugen.
Wie mein guter Freund Kotto Essomé gerne betont, entwickelten sich die afrikanischen Staaten oft entlang der Klimazonen und folgten den Breitengraden. Die kolonialen Grenzen wurden hingegen bewußt in Nord-Süd-Richtung gezogen, um die natürlichen Grenzen der vorkolonialen afrikanischen Staaten zu unterbrechen.
Wie aus der Karte deutlich wird, erstreckt sich ein horizontales „Band“ bewohnbarer städtischer Gebiete an der Grenze zwischen Gras- und Waldsavanne über den gesamten Kontinent vom Atlantik bis zum südlichen Nil. Nicht zufällig bietet dieses besondere klimatische und geografische Gebiet optimale Bedingungen sowohl für die Jagd als auch für Ackerbau und Viehzucht.
Die Edo-Bewohner von Benin-Stadt in Nigeria glaubten allerdings, daß Oduduwa in Wirklichkeit ein Prinz aus ihrem Volk war, der während eines Streits um die königliche Nachfolge aus Benin geflohen war. Deshalb wäre es einem seiner Nachkommen, Prinz Oramiyan, erlaubt gewesen, zurückkehren, und die Dynastie zu begründen, die das Königreich Benin regierte. Prinz Oramiyan war demzufolge der erste Herrscher (Oba) vom Beniner Reich und löste erfolgreich das bis dahin herrschende monarchische System der Ogiso ab.
Die zentrale Rolle des Hüttenwesens
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Metallurgie in Ife einen zentralen Platz eingenommen hat. Oduduwa hatte eine eigene Schmiede in seinem Königspalast (Ogun Laadin). Könige aus verschiedenen Königreichen richteten ebenfalls Schmieden im Königspalast ein, was die starke symbolische Beziehung zwischen Macht und Metallurgie deutlich macht.
Im Gegensatz zu anderen Kontinenten ging die Eisenzeit in Afrika in einigen Regionen der Kupferzeit voraus. Die ältesten Hinweise, die die Verarbeitung von Eisenerz in Afrika dokumentieren, stammen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Dabei handelt es sich um die archäologischen Stätten von Egaro im östlichen Niger sowie von Gizeh und Abydos in Ägypten. Während Buhen im ägyptischen Nubien nach der Verarbeitung von Eisen zu einer „Kupferfabrik“ wurde, zeigt sich an den Orten von Oliga in Kamerun und Nok in Nigeria deutlich eine dynamische metallurgische Tätigkeit.
Wie wir gesehen haben, erfordern Bronzegußtechniken sehr fortgeschrittene technologische Kenntnisse. Ife war aber auch ein wichtiges Zentrum für die Glasproduktion, insbesondere für Glasperlen. Die Überreste dieser alten Produktionsstätten, die aus Teilen von mit geschmolzenem Glas überzogenen Schmelztiegeln bestanden, wurden im 19. Jahrhundert gefunden.
Neuere archäologische Ausgrabungen haben gezeigt, daß die Siedlungen in diesem Gebiet sehr alt sind. Allerdings war es aufgrund der Entwicklung im Bereich der Metallurgie erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglich, effektivere landwirtschaftliche Geräte herzustellen und damit einen Nahrungsmittelüberschuß zu erzeugen. Hier wurden Yamswurzel, Maniok, Mais und Baumwolle angebaut, und aus letzterer entwickelte sich eine bedeutende Tuchweberei.
Die Stadt Ife erlebte dank dieser Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität eine rasche Bevölkerungszunahme, auch weil immer höhere Energiedichten beherrschbar wurden, was die Umwandlung von „Steinen“ (Erzen) in nützliche Ressourcen ermöglichte.
Die Urbanisierung Ifes im Mittelalter ist heute weithin durch die Existenz zahlreicher Einfriedungen aus Gräben und Dämmen bezeugt. Sie weisen auf die verschiedenen Flächen hin, in denen sich die Bevölkerung konzentrierte und auf die Entstehung politischer Instanzen, die mächtig genug waren, um solch große Infrastrukturprogramme umzusetzen.
Interessant ist, daß Ife als erfolgreicher Zentralstaat zunehmend zum Vorbild für andere Staaten in der Region und darüber hinaus wurde. Mehrere Nachkommen und Feldherren von Oduduwa gründeten ihre eigenen Königreiche nach gleichem Vorbild und beriefen sich auf dieselbe Legitimität. Das monarchische Leben von Ife wird mitsamt ihren kulturellen Strukturen exportiert. So ist in den meisten Regionen und Monarchien der Region die adé ilèkè, eine die königliche Macht symbolisierende Krone aus Glasperlen, zu finden.
Insgesamt gab es im 10. Jahrhundert je nach Quelle zwischen 7 und 20 Königreiche in der Welt der Yoruba. Oyo in Nigeria war einer dieser mächtigen Yoruba-Stadtstaaten.
Ein weiteres Beispiel ist das Königreich Ketou, das heute im Südosten Benins liegt. Es soll um das 14. Jahrhundert von einem angeblichen Nachkommen Oduduwas gegründet worden sein. Dieser soll mit seiner Familie und anderen Mitgliedern seines Stammes Ife verlassen haben und nach Westen gezogen sein, wo er sich schließlich in der Stadt Aro, nordöstlich der Stadt Ketou, niederließ. Aro wurde schnell zu klein für die wachsende Bevölkerung, und man beschloß, sich mit 120 Familien in Ketou anzusiedeln.
Exemplarisch für die Baukunst der Yoruba ist die Sungbo-Eredo-Mauer in der Nähe der nigerianischen Hauptstadt Lagos. Es ist ein System von Mauern und Gräben, das im 14. Jahrhundert erbaut wurde und südwestlich der Stadt Ijebu Ode im Bundesstaat Ogun im Südwesten Nigerias liegt. Die mehr als 160 km langen und teilweise bis zu 20 Meter hohen Befestigungsanlagen bestehen aus einem glattwandigen Graben, der einen inneren Burggraben bildet und von der Mauer überragt wird. Der Graben bildet einen unregelmäßigen Ring um das Gebiet des alten Königreichs von Ijebu. Dieser Ring erstreckt sich über 40 Kilometer in Nord-Süd-Richtung und 35 Kilometer in Ost-West-Richtung, was der Größe des Pariser Autobahnrings entspricht. Von der Vegetation in Besitz genommen, gleicht die Anlage heute einem grünen Tunnel.
Von Ife zum Königreich Benin
Im 14. Jahrhundert erlebte Ife einen demografischen Niedergang, was sich durch den Verfall bestimmter Einfriedungen ausdrückte. Ehemalige Wohngebiete verfielen und wurden von Unkraut und Bäumen überwuchert. Wichtige Kenntnisse und Handwerkstechniken gerieten in Vergessenheit.
Dieser Zusammenbruch wird von einigen Autoren als Folge der Schwarzen Pest erklärt, wobei man eine Parallele zu den Pandemiewellen in Europa zur selben Zeit zieht.
Einem Teil der Einwohnerschaft von Ife gelang es zu fliehen, und ihr metallurgisches Wissen in das Königreich Benin zu retten. Das Königreich hatte siebenhundert Jahre lang Bestand, vom 12. Jahrhundert bis zur Invasion des britischen Empire Ende des 19. Jahrhunderts. Benin war ein westafrikanischer Stadtstaat an der Küste, der von den Edos beherrscht wurde, einem Volk, dessen Dynastie bis heute überlebt hat.
Sein Gebiet umfaßt das heutige Benin sowie einen Teil von Togo und den Südwesten Nigerias, wo sich heute Benin-Stadt befindet, ein historischer Hafen am Benin-Fluß. Im Herzen der Stadt befindet sich die ehemalige monumentale königliche Residenz, die von der Bedeutung ihrer politischen, geistigen und traditionellen Macht zeugt.
Benin-Stadt, ein Wunderwerk
Die soziale Organisation der Stadt beeindruckte die Besucher aus Europa Ende des 15. Jahrhunderts. Als wichtiger regionaler Handelsplatz war Benin reich an Elfenbein, Pfeffer, Sklaven und Palmöl (die Ölpalme wuchs in der Region reichlich). Die Europäer kauften das Palmöl ein und zahlten mit Waffen.
Die auf einer Ebene gelegene Stadt Benin ist im Süden von massiven Mauern und im Norden von tiefen Gräben umgeben. Außerhalb der Stadtmauern wurden zahlreiche weitere Mauern errichtet, die das gesamte Gebiet der Hauptstadt in rund 500 einzelne Bezirke unterteilen.
Im Jahr 2016 erschien im Guardian ein Artikel, der von der verlorenen Pracht der Stadt berichte:
„Das Guinness-Buch der Rekorde (Ausgabe 1974) bezeichnete die Mauern von Benin-Stadt und des umgebenden Königreichs als die weltweit größten Baumaßnahmen, die vor dem mechanischen Zeitalter ausgeführt wurden. Nach Schätzungen von Fred Pearce vom New Scientist waren die Mauern von Benin-Stadt zum Teil ,viermal länger als die Chinesische Mauer und erforderten hundertmal mehr Material als die Cheops-Pyramide‘.“
Pearce schreibt weiter, daß sich die Mauern „über insgesamt 16.000 Kilometer erstreckten, in einem Mosaik von mehr als 500 miteinander verbundenen Siedlungsgrenzen. Sie bedeckten eine Fläche von 6500 Quadratkilometern und wurden alle vom Volk der Edo errichtet… Ihr Bau erforderte schätzungsweise 150 Millionen Arbeitsstunden, und sie sind vielleicht das größte archäologische Einzelphänomen auf unserem Planeten.“
Benin-Stadt war auch einer der ersten Orte, in denen es eine Art Straßenbeleuchtung gab. Riesige, meterhohe Metalllampen wurden gebaut und in der Stadt aufgestellt, insbesondere in der Nähe des Königspalastes. Die mit Palmöl getränkten Dochte wurden nachts angezündet, um die Straßen zum und vom Palast zu beleuchten.
Als die Portugiesen die Stadt 1485 zum ersten Mal „entdeckten“, waren sie erstaunt, dieses riesige Königreich aus Hunderten von miteinander vernetzten Städten und Dörfern mitten im afrikanischen Dschungel vorzufinden.
Im Jahr 1691 stellte der portugiesische Schiffskapitän Lourenco Pinto fest:
„Groß-Benin, wo der König residiert, ist größer als Lissabon; alle Straßen verlaufen gerade und so weit das Auge sehen kann. Die Häuser sind groß, vor allem das des Königs, das reich verziert ist und schöne Säulen hat. Die Stadt ist wohlhabend und fleißig. Sie ist so gut regiert, daß Diebstahl unbekannt ist, und infolgedessen leben die Menschen in solcher Sicherheit, daß ihre Häuser gar keine Eingangstüren haben.“
Im Gegensatz dazu beschreibt Bruce Holsinger, Englisch-Professor an der Universität von Virginia, die Stadt London zu der gleichen Zeit als eine Stadt des „Diebstahls, der Prostitution, des Mordes, der Bestechung und des blühenden Schwarzmarktes, der die mittelalterliche Stadt reif für die Ausbeutung durch diejenigen machte, die ein Geschick für die schnelle Klinge oder den Taschendiebstahl hatten“.
Afrikanische Fraktale
Die Planung und Gestaltung von Benin-Stadt folgte aufs Genaueste den Regeln der Symmetrie, Proportionalität und Wiederholung, die heute als fraktales Muster bekannt sind. Der Mathematiker Ron Eglash, Autor des Buches African Fractals untersuchte die Muster, die der Architektur, der Kunst und dem Design in vielen Teilen Afrikas zugrunde liegen. Er stellte fest, daß die Stadt und die umliegenden Dörfer bewußt nach dem Muster perfekter Fraktale angelegt worden waren. Das heißt, ähnliche Formen in mathematisch vorhersehbaren Mustern fanden sich in den Räumen jedes Hauses, im Haus selbst und im ganzen Dorf wieder.
Ron Eglash drückte es deutlich aus:
„Als die Europäer zum ersten Mal nach Afrika kamen, hielten sie die Architektur für sehr unorganisiert und damit für primitiv. Es kam ihnen nie in den Sinn, daß die Afrikaner eine Form der Mathematik verwendet haben könnten, die sie noch gar nicht entdeckt hatten.“
Im Zentrum der Stadt befand sich der königliche Hof, von dem aus 30 sehr gerade, breite Straßen abgingen, jeweils um die 35 Meter breit. Diese rechtwinklig zueinander verlaufenden Hauptstraßen waren mit einer unterirdischen Drainage ausgestattet, die aus einem abgesenkten Becken mit einer Öffnung zur Ableitung des Regenwassers bestand. Von den Hauptstraßen gingen viele schmalere Seiten- und Querstraßen ab. In der Mitte der Straßen befanden sich Rasenflächen, auf denen Tiere weideten.
„Die Häuser entlang der Straßen sind in gutem Zustand und dicht an dicht gebaut“, schreibt der niederländische Besucher Olfert Dapper im 17. Jahrhundert. „Geschmückt mit Giebeln und Treppen… sind sie gewöhnlich breit, mit langen Galerien im Inneren, besonders bei den Häusern des Adels, in viele Räume unterteilt, durch Wände aus rotem Lehm getrennt und sehr solide errichtet.“
Dapper fügte hinzu, daß die wohlhabenden Bewohner die Wände „durch Waschen und Reiben so glänzend und glatt poliert hatten, wie in Holland jede Wand mit Kalk, Spiegeln gleich. Bei den oberen Stockwerken wurde die gleiche Art von Lehm verwendet. Außerdem ist jedes Haus mit einem Brunnen für die Versorgung mit Frischwasser ausgestattet“.
Die Einfamilienhäuser waren in drei Bereiche unterteilt: In der Mitte befand sich das Quartier des Ehemannes, das zur Straße hin lag, links die Räume der Ehefrau (oderie) und rechts der Bereich der jungen Männer (yekogbe).
Im täglichen Leben von Benin-Stadt dürften sich große Menschenmengen durch noch größere Straßen bewegt haben, wobei die Menschen bunt gekleidet waren – einige in Weiß, andere in Gelb, Blau oder Grün. Die Stadtoberhäupter fungierten als Richter, um Rechtsstreitigkeiten zu beenden, Debatten auf den zahlreichen Galerien zu leiten und kleinere Konflikte auf den Märkten zu schlichten.
Auch in den Beschreibungen früher ausländischer Entdecker wurde Benin-Stadt als ein Ort ohne Verbrechen und Hunger beschrieben, mit großen Straßen und sauberen Häusern; eine Stadt mit höflichen, aufrechten Menschen, die von einer zentralisierten und hoch entwickelten Bürokratie verwaltet wurde.
Die Stadt war in elf Bezirke unterteilt, die jeweils eine kleinere Nachbildung des Königshofs darstellten. Sie bestanden aus einer weitläufigen Reihe von Anwesen mit Unterkünften, Werkstätten und öffentlichen Gebäuden, miteinander verbunden durch unzählige Türen und Gänge und alle reich mit den Kunstwerken verziert, die Benin so berühmt machte. Sie waren buchstäblich überall in der Stadt zu finden.
Die Außenwände der Höfe und Anwesen waren mit horizontalen Rippenmustern (agben) und Tonschnitzereien verziert. Sie stellten Tiere, Krieger und andere Machtsymbole dar und erzeugten im starken Sonnenlicht kontrastreiche Muster. In den feuchten Ton wurden auch Naturgegenstände (Kieselsteine oder Glimmerstücke) gepresst, und in den Palästen bedeckten Bronzetafeln die Säulen, mit Reliefs der Siege und Taten früherer Könige und Adliger.
Auf dem Höhepunkt ihrer Pracht im 12. Jahrhundert – lange vor Beginn der europäischen Renaissance – förderten die Könige und Adligen von Benin-Stadt die Kunsthandwerker und überhäuften sie mit Geschenken und Reichtum, damit sie die großen Taten der Könige und Würdenträger in aufwendigen Bronzeskulpturen wiedergaben.
„Die Kunstwerke aus Benin sind den schönsten Beispielen europäischer Gußtechnik ebenbürtig“, schrieb Professor Felix von Luschan vom Ethnologischen Museum in Berlin. Der italienische Renaissancekünstler „Benvenuto Celini hätte sie nicht besser gießen können, und auch kein anderer vor oder nach ihm. Technisch gesehen stellen diese Bronzen die höchstmögliche Vollendung dar.“
Die fatale Begegnung mit der „Zivilisation“
Nach der Berliner Konferenz von 1885, auf der die britischen, portugiesischen, belgischen, deutschen, französischen, italienischen und anderen europäischen Kolonialmächte Afrika wie einen großen Schokoladenkuchen aufteilten, den sie sich im Namen der unumstößlichen Gesetze der „Geopolitik“ einverleiben wollten, häuften sich die europäischen Raubzüge und wurden immer brutaler.
So wurde Benin-Stadt 1897 bei einer britischen Strafexpedition geplündert, angezündet und in Schutt und Asche gelegt, nachdem sich das Königreich geweigert hatte, den Briten das Monopol für die Produktion von Palmöl und anderen Produkten zu überlassen. Der König wurde verhaftet und ins Exil gezwungen. Tausende der schönen „Beninbronzen“, die allerdings weniger naturalistisch sind als die von Ife, wurden gestohlen, verkauft oder gingen teilweise verloren.
Die Bronzen landeten auf dem Kunstmarkt und in Museen, darunter dem Britischen Museum (700 Objekte) und dem Berliner Museum für Völkerkunde (500 Objekte). Die britische Regierung verkaufte einige von ihnen wieder, „um die Kosten für die Expedition zu decken“.
So gingen einige mit ihrer schönen Kunst in die Geschichte ein, während andere durch ihre barbarischen Verbrechen die Zivilisation verließen.
Zusammenfassende Bibliographie:
- Ifè, une civilisation africaine, Frank Willett, Jardin des Arts/Tallandier, Paris 1971;
- Allgemeine Geschichte Afrikas, Présence africaines/Edicef/Unesco, Paris 1987;
- Atlas historique de l’Afrique, Editions du Jaguar, Paris 1988;
- L’Afrique ancienne, de l’Acus au Zimbabwe, unter der Leitung von François-Xavier Fauvelle, Belin/Humensis, Paris 2018.