Editorial

Mit der vorliegenden Ausgabe will Ibykus einen Beitrag zum 600. Geburtstag des Nikolaus von Kues leisten. Neben dem Grußwort von Papst Johannes Paul II. zum Cusanus-Jahr, das Ende Mai während des Pontifikalamtes in Bernkastel-Kues verlesen wurde, druckt Ibykus Grußworte und Beiträge aus vielen Ländern ab, die der Redaktion zugingen, darunter ein Grußwort von Kardinal Zenon Grocholewski, Präfekt der päpstlichen Bildungskongregation, ein weiteres von Nuntius K. J. Rauber in Ungarn, ein Hintergrundgespräch mit dem ungarischen Weihbischof Prof. Dr. Peter Erdö, ein Beitrag der Vorsitzenden des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche, ein Interview mit dem Leiter der Cusanus-Edition Köln Prof. Senger und ein Beitrag von Prof. Yamaki über die Cusanus-Rezeption in Japan.

Mit Nikolaus von Kues feiern wir eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Europas. Er legte die entscheidenden geistigen Grundlagen für die Renaissance, die eine neue Epoche in der Menschheitsgeschichte einleitete. Seine theologischen und philosophischen Schriften waren bahnbrechend und sprengten das mittelalterliche Weltbild.

Als hochrangiger Diplomat in päpstlichen Diensten war Nikolaus die Schlüsselfigur in einem Kreis italienischer Humanisten – darunter die späteren Päpste Nikolaus V. und Pius II. sowie Kardinal Giulio Cesarini –, die mit ihm während des Baseler Konzils Vorarbeiten für das Unionskonzil in Florenz 1439 leisteten.

Dieses Konzil gehört zu den entscheidenden Ereignissen der Renaissance: Es gelang nicht nur dank der Arbeiten des Cusaners, das seit 1054 bestehende Schisma zu überwinden und eine Union zwischen Katholiken und Griechisch-Orthodoxen zu schaffen (welche jedoch kurze Zeit später sabotiert wurde). Unter dem Einfluß der anwesenden griechischen Gelehrten – u. a. Erzbischof Bessarion und Gemisthos Plethon – und Übersetzer aus ganz Europa führte man auf dem mehrjährigen Konzil eine intensive Debatte über die aus Griechenland neu überlieferten Schriften von Platon, Archimedes, Homer, Strabo usw. Neue Horizonte des Wissens taten sich auf. Dies fand seinen Niederschlag Jahrzehnte später in der erfolgreichen Expedition des Kolumbus nach Amerika, welche zugleich der Beginn einer neuen Evangelisierung war.

Wie ein roter Faden durchzieht Nikolaus‘ Denken die Idee der Einheit in der Vielfalt, der Einheit der Religionen, welche trotz ihrer verschiedenen Riten den einen Gott verehren, wie er in De pace fidei schreibt. Ihm war es nicht nur ein Herzensanliegen, die Einheit der Christen wiederherzustellen, ebenso leidenschaftlich setzte er sich mit dem Koran auseinander, um fruchtbare Ansätze für einen Dialog zwischen Christentum und Islam zu finden.

Die entscheidenden Impulse für diesen Dialog unter den Religionen und Völkern gab Nikolaus auf dem Baseler Konzil, das seit 1431 tagte und gemäß der zuvor in Konstanz 1414–17 getroffenen Vereinbarungen die bis dahin wenig erfolgreichen Bemühungen um eine Reform der Kirche fortsetzen sollte. Die Mehrheit, wozu Nikolaus ab 1432 gehörte (er stand ab 1426 im Dienste des Kardinals Orsini), war der Auffassung, daß das Konzil dem Papst übergeordnet sein müsse. Zu den ersten Werken des Cusaners, die noch ganz von diesem Geist inspiriert sind, gehört die Concordantia catholica, worin er seine die modernen Nationalstaaten begründende Naturrechtstheorie aufstellt.

Seine Haltung änderte sich jedoch, als Papst Eugen IV. (1431–1447) unter dem Eindruck der Türkeninvasionen ein ökumenisches Konzil in Italien anregte und seinen Legaten Kardinal Giulio Cesarini und Nikolaus mit den Vorbereitungen dazu beauftragte.

Auf dem Baseler Konzil, wo sich Nikolaus 1437 vom Konzilaristen zum Papisten wandelte, gab es faszinierende Diskussionen unter den führenden Humanisten und Architekten der italienischen Renaissance. Wie man den Vite des Vespasiano da Bisticci (ein Zeitgenosse Cosimo de Medicis aus Florenz)

entnehmen kann, traf Nikolaus in Basel viele alte Freunde aus der Studienzeit in Padua wieder, die inzwischen in Amt und Würden waren – darunter sein ehemaliger Lehrer der Rechtswissenschaften, Kardinal Giulio Cesarini (diesem widmete er später De docta ignorantia und De conjecturis). Als päpstlicher Legat hatte Cesarini die Leitung des Konzils inne.

Cesarinis Freunde wurden auch zu Nikolaus‘ engsten Freunden, darunter der Florentiner Kamaldulenser-Mönch Frate Ambroggio Traversari, ein bedeutender Graecist. der wie viele andere seiner Freunde von dem griechischen Gelehrten aus Konstantinopel, Mauel Chrysoloras ausgebildet worden. Traversari übersetzte Dionysos Areopagitus, Schriften des Hl. Gregor von Nazian und Homilien de Chrysostomos zu Matthäus sowie Cyrills Kommentare zur Genesis und zu Johannes. 1424 bereits hatte Papst Martin V. Traversari mit Übersetzungen des griechischen Theologen Manuel Kalek beauftragt, der sich für das Filoque einsetzte. 1423 hatte ein Mitarbeiter Traversaris einen Schatz von Konstantinopel nach Italien gebracht: 238 Manuskripte, darunter auch Texte Platons.

So war Traversaris Kloster Santa Maria degli Angeli in den 20er und 30er Jahren Treffpunkt einer Gruppe von Humanisten, die mit den Medici in Verbindung standen, u. a. Niccolo Niccoli, dessen Sammlung alter Bücher den Grundstein für die platonische Akademie bildete, Gianozzo Manetti, der die erste Rede über die Würde des Menschen verfaßte, sowie Enea Piccolomini, der spätere Papst Pius II.

Paolo Pozzo Toscanelli, Mathematiker und Kommilitone Nikolaus‘ in Padua, ließ ihm Traversaris Übersetzung des Dionysos Areopagitus zukommen. Toscanelli war später Nikolaus‘ Testamentsvollstrecker. Er hatte bei Prosdocimo de Beldonandi, der auch Brunelleschi und Alberti unterwies, die Perspektive studiert. Im Kloster studierte man auch geographische Manuskripte und die Kartographie des Poggio Bracciolino. Toscanelli hielt eine Vortragsreihe über den griechischen Geographen Strabo und legte mit der Weiterentwicklung der Kartographie den theoretischen Grundstein für Kolumbus‘ spätere Entdeckungsfahrt.

Auf dem Baseler Konzil traf Nikolaus auch den späteren Kardinal Albergati, der von dem Philologen Tommaso Parentucelli und späteren Papst Nikolaus V. (1447–55) begleitet wurde. Dieser ließ unter seinem Pontifikat zahlreiche griechische Autoren übersetzen, darunter Platon, Strabo, Homer und Herodot. Außerdem richtete er mehrere Bibliotheken ein. Nikolaus wurde von ihm 1450 zum Kardinal ernannt. Ebenso traf Nikolaus in Basel den bedeutenden Humanisten Silvio Enea Piccolomini, den späteren Papst Pius II.(1458–1464), unter dem er 1458 zum päpstlichen Generalvikar ernannt wurde.

Für die theologische Diskussion mit der Ostkirche, die 1436 begann, hatte Nikolaus umfangreiche Vorarbeiten geleistet. Alle Teilnehmer des Baseler Konzils wurden aufgefordert, Quellen über die Lehren der griechischen Kirche zur Verfügung zu stellen. Sie wurden in einem Ausschuß unter Leitung der Bischöfe von Digne und Oporto studiert. Alle Gelehrten, die der griechischen Sprache mächtig waren, wurden nach Basel geladen.

1437 reiste Nikolaus im Auftrag des Papstes und der Baseler Minderheit nach Konstantinopel mit dem Auftrag, den oströmischen Kaiser Johannes VIII. Paläologus zum Unionskonzil nach Florenz zu geleiten. In Konstantinopel forschte er nach Akten früherer Konzilien und Texten griechischer Kirchenväter und ließ sich eine Übersetzung des Korans anfertigen.

Im November 1437 trat er die Rückreise nach Italien an, begleitet von hohen Würdenträgern der griechischen Kirche – darunter Repräsentanten der Patriarchate von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, der Patriarch von Konstantinopel Joseph und der Gelehrte Bessarion, Autor der Verteidigung Platons, mit dem Nikolaus während der Überfahrt intensive Diskussionen führte. Die 700köpfige Delegation erreichte Venedig im Februar 1438.

Am 8. Januar war in Ferrara bereits durch Kardinal Albergati das Unionskonzil eröffnet worden, das dann nach Florenz verlegt wurde. Im Juli 1439 wurden die Unionsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Obwohl Nikolaus selbst an dem Konzil nicht teilgenommen hatte, war die Union sein Verdienst.

Der Zeitgenosse Vespasiano da Bisticci schreibt: „Das Baseler Konzil hatte sich so in kurzer Zeit selbst zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, und dies wurde durch das ,Konzil der Griechen‘ bewirkt. In jenen Tagen kamen Jakobiten, Äthiopier und Gesandte des Johannes zum römischen Pontifex und dieser übernahm für sie alle Kosten. Er ließ auch alle gelehrten Männer, die es in Italien und darüber hinaus gab, nach Florenz kommen und als genügend am Papsthof eingetroffen waren, versammelten sie sich Tag für Tag, um in Anwesenheit des Papstes und der Kurie über die Differenzen, die es zwischen der römischen und der griechischen Kirche gab, zu disputieren. Der erste und wichtigste Punkt war, daß sie (die Griechen) behaupteten, der Heilige Geist gehe nur von Gottvater und nicht auch vom Sohn aus, während die Römische Kirche wollte, daß er vom einen wie vom anderen (filioque) komme. Am Ende stimmten die Griechen der römischen Auffassung zu. (…) Nach schier endlosen Disputationen gaben die Griechen den Lateinern in allen Streitpunkten nach, ebenso Jakobiten, Äthiopier und die Gesandten des Presbyters Johannes. (…) Der Papst zelebrierte eine feierliche Messe. In ihrem Verlauf wurden mit größter Feierlichkeit die Texte der Privilegien über die Kirchenunion mit den Griechen verlesen. (…) Die ganze Welt war in Florenz zusammengekommen, um diesen bedeutenden Vorgang zu sehen.“

Auch wenn das von Cesarini und Bessarion verlesene Unionsdekret Laetantur Coeli nicht zur vollen Durchführung kam, bleiben die von Nikolaus erarbeiteten theologisch-philosophischen Grundlagen bis heute aktuell.

Wir stehen heute vor ähnlichen Problemem, wie sie Nikolaus vor 600 Jahren begegneten. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und der immer rabiater vertretenen „Globalisierung“ versinken immer mehr Länder in Armut und Elend. Rund um den Globus werden Kriege geführt. Im Nahen Osten wächst die Gefahr eines großen Krieges, welcher die gesamte Region in blutige Religionskriege verstricken und die Perspektive einer eurasischen Zusammenarbeit zunichte machen würde. Gerade vor diesem Hintergrund muß man die Pilgerreise von Papst Johannes Paul II. nach Athen und Damaskus im Mai sehen. Mit dieser Reise – insbesondere der Gemeinsamen Erklärung mit dem Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche Christodoulos sowie der historisch einmalige Besuch in der Omajaden-Moschee in Damaskus – leistete der Papst einen wesentlichen Beitrag zum Frieden zwischen den Völkern, indem er dem ökumenischen Friedensdialog zwischen Katholiken und Orthodoxen und dem Dialog zwischen Christentum und Islam eine neue Richtung wies.

Der „Friede unter den Religionen“ ist wesentliches Anliegen des Nikolaus, dessen ganzes Werk von einem Kerngedanken durchzogen wird: der Suche nach der Erkenntnis Gottes. Gott ist einfachste Bestimmung und Grund des Weltalls, welcher die Einfaltung von allem ist, auch des Gegensätzlichen.

In Der Laie und die Weisheit erklärt der Laie dem Rhetor, daß die Suche nach der Erkenntnis Gottes vergleichbar sei mit der Süßigkeit der Wahrheit. Einmal von ihr gekostet, werde man sich sein Leben danach sehnen, die Weisheit zu nutzen, die „wohlschmeckt“, und es gebe nichts „Süßeres“ als „Vernunfteinsicht“:

„So treibt uns eine ewige und unendliche Weisheit, da sie in allem widerstrahlt, gleichsam durch einen Vorgeschmack ihres Wirkens an. Und es bedeutet für jeden Geist Wonne, unaufhörlich zum Ursprung seines Lebens emporzusteigen, wiewohl er unerreichbar ist. (…) Die unendliche Weisheit ist die nie versiegende Speise des Lebens, aus der unser Geist, der nichts als Weisheit und Wahrheit zu lieben vermag, ewig lebt“, schreibt Nikolaus.

Durch jede neue Erkenntnis, die der Mensch macht, wird er „deiform“. Alle menschlichen Künste seien Abbilder der unendlichen göttlichen Kunst. Die göttliche Einfachheit falte alle Dinge ein, der Geist ist das Abbild einfaltender Einfachheit. Erkennen vollziehe sich durch Ähnlichkeit. Alles ist in Gott, aber dort als Urbild der Dinge, alles ist in unserem Geist, jedoch als das Ähnlichkeitsbild der Dinge: „Der Göttliche Geist ist die Kraft, die Sein verleiht, unser Geist ist die Kraft, die ähnlich macht. (…) Bei dieser erhabenen Weise bedient sich der Geist seiner Selbst als Bild Gottes. Gott, der alles ist, strahlt in ihm wieder, wenn er sich als lebendiges Abbild Gottes seinem Urbild zuwendet und mit aller Kraft bemüht, sich ihm zu verähnlichen. Auf diese Weise schaut er, daß alles eins ist und er die Ähnlichung dieses Eins ist.“