Aus Anlaß des 100. Todestages Giuseppe Verdis (1813–1901) stellt Ibykus mit einigen Beiträgen den bedeutenden europäischen Opernkomponisten vor.
Außerdem veröffentlicht Ibykus ein Interview mit dem weltberühmten ungarischen Pianisten Andràs Schiff, in dem dieser Einblick gibt in die Frage, wie es ihm gelingt, die Ideen der großen Werke der Klassik musikalisch transparent zu machen. In einem Gespräch mit Ibykus gibt die große Konzertsängerin Agnes Giebel dem Leser einen Einblick in die „Geheimnisse“ ihrer Gesangskunst.
Aus Anlaß des Preußenjahres 2001 stellt Ibykus außerdem in einem speziellen Teil die Arbeit des berühmten preußischen Architekten und Städteplaners Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) und seine direkte Zusammenarbeit mit Alexander und Wilhelm von Humboldt dar. Dazu gehört auch ein Interview mit der Geschäftsführerin des Vereins Bautechnik in Berlin, der sich für den Wiederaufbau der Bauakademie einsetzt. Das von Schinkel errichtete „Alte Museum“ und die Bauakademie sind architektonische Lehrbeispiele und Ausdruck des damaligen kameralistischen Netzwerkes, welches geistig verwurzelt war in den Ideen Friedrich Schillers.
Die alle Themen verbindende Idee der vorliegenden Ausgabe ist die Frage der „künstlerischen Schönheit“ und wie diese vom Interpreten bzw. Komponisten, Poeten, Architekten und Künstler transparent gemacht und vermittelt werden kann.
Mit dieser Frage setzte sich das Schiller-Institut seit seiner Gründung 1985 stets sehr intensiv auseinander und wurde dabei zur Speerspitze in der Debatte über die Notwendigkeit der Rückkehr zur wissenschaftlichen Stimmung C-256 Hz, der sogenannten Verdi-Stimmung, die 1884 von Verdi im italienischen Senat durchgesetzt worden war.
Im Sommer 1988 organisierte das Schiller-Institut in der Casa Verdi in Amiant zusammen mit den bekannten italienischen Sängern Piero Cappuccilli, Renata Tebaldi, dem weltberühmten Primarius des einstigen Amadeus-Quartetts Norbert Brainin, dem Pianisten Günther Ludwig, dem damaligen künstlerischen Direktor von Radio Vatikan, Arturo Sacchetti, dem Leiter des Internationalen Instituts für Geigenbau in Cremona, Prof. Bruno Baroso, sowie dem ehemaligen Solo-Pauker der Berliner Philharmonie, Prof. Werner Thärichen, eine Konferenz, auf welcher die Rückkehr zur „wissenschaftlichen Stimmung,“ wie sie Verdi einst durchgesetzt hatte, gefordert wurde.
Das Schiller-Institut verabschiedete im Rahmen dieser Konferenz eine Resolution zur Frage der richtigen Stimmung, welche weltweit von den besten Sängern der Welt unterstützt wurde: darunter Birgit Nilsson, Christa Ludwig, Peter Schreier, Montserrat Caballe, Placido Domingo u. a.
Wenn sich damals in Mailand viele der führenden Sänger und Instrumentalisten für die Rückkehr zur „wissenschaftlichen Stimmung“ aussprachen, so geschah dies nicht nur aus berechtigter Sorge um den Erhalt der großen Singstimmen und der wertvollen alten Instrumente, sondern es ging darum, die Werke der klassischen Musik so zu erhalten, wie die Komponisten sie geschaffen haben, mit all ihrer natürlichen Charakteristik und Farbigkeit. Die Tendenz zu einer hohen Stimmung vernebelt, ja verfälscht diese Absichten des Komponisten, wie wir heute immer wieder feststellen müssen.
Dies berührt im Kern die Frage der „künstlerischen Schönheit“ und der Erzeugung schöpferischer Ideen, wie es Lyndon LaRouche in seiner Einleitung zum Handbuch „Die klassische Idee: Natürliche und künstlerische Schönheit“ dargelegt hatte. „Der Mensch“, so schrieb LaRouche, „unterscheidet sich vom Tier durch den Aspekt der menschlichen Natur, womit die Menschheit wissenschaftlichen und technischen Fortschritt schafft und assimiliert. Wenn diese spezifisch menschliche Eigenart auf die natürliche Schönheit angewendet wird, entsteht künstlerische Schönheit.
Die Quelle künstlerischer Schönheit liegt daher in den gleichen schöpferischen Fähigkeiten des individuellen menschlichen Geistes, welche die Menschheit befähigen, gültige fundamentale Entdeckungen in den Naturwissenschaften hervorzubringen und aufzunehmen.“
Als Beispiel für das schöpferische Potential des Individuums nannte LaRouche den Vorgang, den man oft bei glücklich aufwachsenden Kleinkindern beobachten kann, wenn diese mit Bauklötzen spielen. „Irgendwann bringt das Kind etwas zustande, das sich ihm als eigenständige Entdeckung darstellt und sich darin ausdrückt, daß das Kind nun etwas bauen kann, das ihm vorher noch nicht gelungen war – ein Erfolg, in dem es ein Prinzip erkennt, das auch bei anderen Dingen wiederholt werden kann.“ Erwachsene, die solch einen Vorgang beim Kind beobachten, rührt dies mitunter fast zu „Freudentränen.“ Eine solche Erfahrung rühre, so LaRouche, an den Kern des Prinzips der künstlerischen Schönheit; es ist dasselbe Empfinden, was wir in der Musik bei einer guten Aufführung von Mozarts Requiem oder auch dem einfacheren Ave verum verspüren. „Wenn der Dirigent beim Zuhörer nicht dieses besondere Gefühl, das wir mit den ‚Freudentränen‘ verbinden, wecken kann, sollte er wissen, daß er sich entweder musikalisch in schlechter Verfassung befindet oder die musikalische Darstellung nicht ‚wahr‘ ist.“
LaRouche weist dabei auf zwei grundsätzliche Gefühlszustände hin. Ein Mensch, welcher Freudentränen bei einer gelungenen klassischen Aufführung empfindet, drückt ein Gefühl aus, das LaRouche mit „agapisch“ bezeichnet. Dem demgegenüber, schreibt LaRouche, stehe das erotische Gefühl, welches wir mit hedonistischen Trieben wie Habgier und Wut verbinden. Die klassische Idee ist mit dem ersten verbunden, und der romantische und der moderne Zugang zur Musik mit dem zweiten.
Platon verbindet den ersten, höheren Gefühlszustand mit dem Begriff des Guten und Schönen – agathos „im Gegensatz zu dem niederen Gefühlszustand eros. … In der christlichen westeuropäischen Kultur wird agape im Lateinischen mit caritas, im Englischen mit charity
(und im Deutschen häufig mit ‚Nächstenliebe‘) übersetzt. Für die westeuropäische Kultur bedeutet agape Liebe zu Gott, Liebe zu den Menschen und Liebe zur Schönheit, sowie den übergeordneten Gefühlszustand, mit dem wir die Herausforderungen des Lebens annehmen.
Wir stellen fest, daß das Gefühl der agape in besonderer Weise in Verbindung mit wahrhaft schöpferischer geistiger Tätigkeit auftritt. Es kommt mit Sicherheit als Belohnung, wenn wir eine gültige Entdeckung hervorbringen. Andererseits können wir ohne diese emotionale Qualität als Triebfeder nicht die besondere Konzentration aufrechterhalten, die zum Hervorbringen solcher Entdeckungen nötig ist.
Bei der Aufführung von Musik erleben wir den Meister, der sich selbst in einen angemessenen, mehr oder weniger agapischen Gemütszustand versetzt hat, wie er die Phrasierung mit einem sehr langen Bogen zusammenhält, über eine Passage, eine Folge von Passagen, einen ganzen Abschnitt eines Satzes, einen ganzen Satz und ein ganzes Werk. Die Schönheit einiger Adagio cantabile-Instrumentalsätze Mozarts und Beethovens illustriert dies hervorragend.
Wenn wir eine solche Aufführung dieser Werke mit der erotischen Sentimentalität anderer Aufführungen gefeierter Künstler vergleichen, springt der Unterschied ins Auge. Von Wagners ‚Liebestod‘ in Tristan und Isolde hieß es, die Ausführenden hatten das Ziel, es solle im Hause ‚kein Sitz trocken bleiben‘. Das ist der Unterschied zwischen der agapischen Qualität der klassischen Idee in der Musik und der erotischen Auffassung, die an das Dionysische oder irrational Mystische der Romantik angrenzt.
Einige ausführende Künstler haben diesen Unterschied zwar zur Kenntnis genommen, aber mißverstanden. Sie akzeptieren die Tatsache, daß klassische Instrumente auf c’= 256 Hz gestimmt waren, und halten sich an das Verbot, dem originalen Notentext eine willkürliche Sentimentalität aufzuzwingen. Das Ergebnis aber ist Langeweile. Die Ausführung besitzt keine Intensität, keinen den Hörer mitreißenden ‚langen Bogen‘. Das fast metronomische Ausbleiben irgendeiner bestimmenden Emotion ersetzt die Verirrungen der erotischen Sentimentalität des Romantikers und das Hin- und Herschwanken des Modernisten zwischen dem Dionysischen und dem Gift des Nichtigen, mystisch Obszönen.
Es gibt eine sehr gute Methode, solche lähmenden Gefühlszustände bei gebildeten Musikern zum Vorschein zu bringen: Man bringt sie irgendwie dazu, ein kurzes klassisches Gedicht zu rezitieren. Jedes größere Interpretationsproblem bei ihrer musikalischen Aufführung wird in dieser furchtbaren Rezitation zutage treten. Ein anderes mehr oder weniger unfehlbares Mittel ist, sie dazu zu bringen, über die Interpretation eines Werkes aus ihrem Repertoire zu sprechen. Die Antwort ist gewöhnlich entweder eine pedantische Diskussion rein technischer Aspekte der Komposition oder sentimentales Geschwätz im Stile der üblichen Musikkritiken in Zeitungen, auf Buchumschlägen und Konzertprogrammen.
Daß der Komponist ein Werk als musikalische Idee ausgearbeitet hat, und zwar entsprechend den im gewählten musikalischen Stoff gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten dieser Idee, davon scheint der auf die Probe gestellte Musiker nichts zu wissen.
Vielleicht gibt es nicht nur eine bestimmte Art, wie vollendete Musiker die agapischen Eigenschaften musikalischer Ideen mitteilen. Unsere moderne Musikkultur hat uns nicht daran gewöhnt, über solche Dinge zu sprechen; die meisten Musiker drücken sich bei diesem Thema lieber musikalisch als in Worten aus. Manchmal schwingt die Verbalisierung musikalischer Ideen bei Gelegenheiten wie einer Musikprobe mit. Die vorgeschlagenen Tests werden in der Regel die Probleme des schlechten Musikers an den Tag bringen, beim guten Musiker taugen sie aber nicht immer, die gewünschten Erläuterungen zu erhalten; letzterer nimmt meist sein Instrument zur Demonstration zu Hilfe, um die Probleme des falschen Wegs der richtigen Herangehensweise gegenüberzustellen. Auf diese Weise versucht er, den Unterschied hörbar zu machen. Letzten Endes ist keine andere Herangehensweise vollkommen adäquat.
Nichtsdestoweniger haben wir mit dem bis hierhin Gesagten die allgemeine Idee angedeutet, auf die es uns ankommt. In der Praxis hält vielleicht kein Musiker irgendeine Aufführung, die er oder sie je gegeben oder gehört hat, für völlig adäquat. Der Drang, fehlerhafte oder inadäquate Interpretationen zu entdecken und Wege zu finden, dem Ziel besser zu dienen, ist das Herzblut musikalischer Arbeit, so wie jeder wahre Wissenschaftler leidenschaftlich entschlossen ist, seine inadäquaten neuesten und wertvollsten Entdeckungen zu übertreffen. Das ist die agape solcher Berufe, wenn sie vollendet ausgeübt werden.
Wir können aber etwas allgemein Anwendbares hinzufügen, das helfen kann, diesen Punkt klarer zu machen. Wonach wir bei der klassischen Idee in der Musik abzielen, ist polyphone und agapische „Transparenz“ der Komposition als einheitlicher Prozeß der Ausarbeitung – Entwicklung – einer musikalischen Idee.
Damit verwischt sich die Trennungslinie zwischen natürlicher und künstlerischer Schönheit.
Die klassische Kunst als Ganzes und alle einzelnen Künste, plastische wie nichtplastische, haben ihrem Wesen nach eine Richtung. Diese Richtung ist die Vervollkommnung des Gebrauchs der natürlichen Schönheit durch den Menschen. Das Ergebnis des Fortschritts ist, daß die so erreichte größere Vervollkommnung ein neuer, höherer Standard für den Ausdruck natürlicher Schönheit in der Kunst wird. Die Entdeckungen, die diesen höheren Standard aufgestellt haben, bleiben für viele Generationen als künstlerische Schönheit bestehen; die Freude an solchen Werken besteht in der Handlung des Nachvollziehens des Entdeckungsprozesses, sie hat somit den Charakter dauerhafter künstlerischer Schönheit. Gleichzeitig wird das, was sich als gültige neue Entdeckung bei der Schaffung künstlerischer Schönheit erwiesen hat, später zu einem Prinzip der natürlichen Schönheit.
Der wesentliche Unterschied zwischen natürlicher und künstlerischer Schönheit ist, daß die natürliche Schönheit in dem besteht, was Gott für die Kunst vorherbestimmt hat. Künstlerische Schönheit ist der Gebrauch der gesetzmäßigen, natürlichen Schönheit nach Maßgabe der gottgegebenen schöpferischen Fähigkeiten des individuellen Menschen. Das ähnelt sehr dem Fortschritt in Erkenntnis und Praxis der Naturwissenschaften. Der Unterschied ist, daß die Emotion der agape, die den Wissenschaftler in die Lage versetzt, gültige wissenschaftliche Entdeckungen hervorzubringen, und die Gesellschaft anleitet, diese Erfindungen in für die Menschheit nützlicher Weise anzuwenden, beim Schaffen und Nachschaffen von künstlerischer Schönheit gleichzeitig Selbstzweck ist.
Ziel der Kunst ist es, den edelsten Geisteszustand, den ein einzelner Mensch erreichen kann, zu feiern und zu stärken, und so dazu beizutragen, daß wir bessere Menschen werden. Man trägt dazu am besten und auf die natürlichste Weise im Sinne der agape bei, indem man jenes dem Erotischen ganz entgegengesetzte Gefühl vertieft, das wir mit den erwähnten Freudentränen angesichts einer kindlichen Entdeckung verbinden.
Wir können kein größeres Geschenk empfangen als etwas, das uns befähigt, willentlich jene Kraft der agape in uns hervorzubringen, die unseren Geist regieren und unsere Taten lenken soll. Künstlerische Schönheit ist ein Mittel, wie wir das erreichen können. Das ist im Sinne der klassischen Idee der Zweck der Kunst im allgemeinen und der Musik im besonderen.“