Frieden für alle Zeiten: Die Strategie des Friedens

Am 10. Juni 2023 jährt sich zum 60. Mal die Veranstaltung, auf der Präsident John F. Kennedy seine berühmte Friedensrede vor der Fakultät und des Kuratoriums der American University in Washington D.C. hielt, die wir hier in gekürzter Form wiedergeben. Im Herbst zuvor hatte er in direkten Verhandlungen mit Nikita Chruschtschow den Abzug der gegeneinander gerichteten Mittelstreckenraketen erreicht und mit dem Ende der Kuba-Krise die Welt vor einer schrecklichen Katastrophe bewahrt. Kennedy repräsentierte ein anderes Amerika – das Amerika seiner Gründerväter – Werte, für die auch die damalige Bewegung der Blockfreien Staaten gekämpft hat.

Das Schiller-Institut nahm den 10. Juni zum Anlaß für einen internationalen Aktionstag und eine große Gedenkveranstaltung in den USA. In einem weit verbreiteten Friedensappell an alle Bürger, Institutionen, einschließlich an den (nächsten) Präsidenten der USA wird gefordert, diesen hohen Standpunkt wieder einzunehmen, denn er ist die Grundlage für „Frieden für alle Zeiten“, wie Kennedy sagte.


… Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, jetzt und hier über ein Thema zu sprechen, bei dem man zu oft auf Unwissenheit stößt und bei dem die Wahrheit zu selten erkannt wird, obwohl es sich bei ihm um das wichtigste Thema auf der ganzen Welt handelt: den Weltfrieden.

Von welcher Art Frieden spreche ich? Welche Art Frieden streben wir an? Es geht hier nicht um eine Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. Auch geht es nicht um den Frieden des Grabes oder um die Sicherheit der Sklaven. Ich spreche von echtem Frieden, von der Art Frieden, die das Leben auf der Erde lebenswert macht, von der Art Frieden, durch die Menschen und Nationen wachsen, hoffen und für ihre Kinder die Grundlage einer besseren Zukunft legen können. Ich spreche nicht nur von Frieden für Amerikaner, sondern von Frieden für alle Männer und Frauen. Auch geht es nicht nur darum, daß in unserer Zeit Frieden herrscht, sondern für alle Zeiten.

Präsident John Fitzgerald Kennedy.
Präsident John Fitzgerald Kennedy.

Ich spreche von Frieden, weil sich das Gesicht des Krieges verändert hat. Totaler Krieg ist in einem Zeitalter sinnlos, in dem Großmächte viele und relativ unbezwingbare Atomwaffen unterhalten können und sich weigern, ohne Einsatz dieser Waffen zu kapitulieren. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die Explosion einer einzigen Atomwaffe nahezu zehnmal so stark ausfällt wie die Waffen aller alliierten Luftstreitkräfte des Zweiten Weltkriegs zusammen. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die tödlichen Gifte, die bei einem atomaren Austausch freigesetzt werden, mit Wind, Wasser, Erde und Saatgut in die entlegensten Winkel dieser Erde gebracht und Generationen, die noch nicht einmal geboren wurden, davon in Mitleidenschaft gezogen werden würden.

Derzeit müssen wir zur Friedenssicherung jedes Jahr Milliarden von Dollar für Waffen ausgeben, die nur gekauft werden, damit wir sie niemals einsetzen. Der Erwerb eines solch ungenutzten Arsenals, das ausschließlich zu zerstörerischen, nicht jedoch zu konstruktiven Zwecken eingesetzt werden könnte, ist sicherlich nicht die einzige und schon gar nicht die effizienteste Methode der Friedenssicherung.

Ich spreche daher von Frieden als das notwendige rationale Ziel vernünftiger Menschen. Ich stelle fest, daß das Streben nach Frieden weniger dramatisch ist als das Streben nach Krieg, und die Worte desjenigen, der Frieden fordert, verhallen häufig ungehört. Dennoch ist dies unsere dringlichste Aufgabe. …

Ich denke aber auch, daß wir unsere eigene Haltung als Einzelne und als Nation erneut hinterfragen sollten, da sie eine genauso wichtige Rolle spielt wie die der Sowjetunion. Jeder Absolvent dieser Hochschule und jeder gewissenhafte Bürger, der Krieg ablehnt und Frieden herbeisehnt, sollte damit beginnen, in sich hineinzuschauen und zu überlegen, welche Einstellung er in Bezug auf die Möglichkeit des Friedens, die Sowjetunion, den Verlauf des Kalten Krieges und Freiheit und Frieden hier im eigenen Land vertritt.

Hierzu mein erster Punkt: Lassen Sie uns überlegen, wie wir zum Frieden an sich stehen. Zu viele Menschen unter uns glauben, daß es nicht möglich sei, in Frieden zu leben. Zu viele denken, daß dies unrealistisch sei. Dies ist jedoch eine gefährliche, defätistische Ansicht. Sie führt zu der Schlußfolgerung, daß Krieg unvermeidbar ist und daß die Menschheit dem Schicksal verfallen ist und von Kräften geleitet wird, die sie nicht kontrollieren kann.

Wir müssen diese Ansicht nicht akzeptieren. Unsere Probleme wurden von Menschen verursacht, weshalb sie auch von Menschen gelöst werden können. Ein Mensch kann all das erreichen, was er sich vornimmt. Kein Problem, das mit dem menschlichen Schicksal in Verbindung gebracht wird, übersteigt menschliche Fähigkeiten. Menschen haben schon oft unter Einsatz ihrer Vernunft und ihres Geistes scheinbar unüberwindbare Probleme gelöst, und wir glauben, daß sie dazu auch in Zukunft in der Lage sein werden.

Ich beziehe mich hier nicht auf das absolute, grenzenlose Konzept von Frieden und Wohlwollen, von dem einige phantasieren und Fanatiker träumen. Ich möchte gar nicht leugnen, wie wichtig Hoffnungen und Träume sind, aber wir rufen lediglich Enttäuschung und Unglaubwürdigkeit hervor, wenn wir dieses Konzept zu unserem einzigen, unmittelbaren Ziel machen.

Wir sollten uns stattdessen auf eine praktischere Art von Frieden konzentrieren, die sich eher erzielen läßt und die nicht auf einer plötzlichen Umwälzung der menschlichen Natur basiert, sondern auf einer allmählichen Evolution der menschlichen Institutionen, auf einer Reihe konkreter Maßnahmen und wirksamer Vereinbarungen, die im Interesse aller Beteiligten stehen. Für diese Art von Frieden gibt es keine einfache Lösung, die allein zu Erfolg führt, keine großartige Zauberformel, die von einer oder zwei Großmächten angewandt werden könnte. Echter Frieden muß das Produkt zahlreicher Nationen sein, die Summe vieler Maßnahmen. Er muß dynamischer und nicht statischer Natur sein, und er muß an die veränderten Herausforderungen jeder neuen Generation angepaßt werden. Denn bei Frieden handelt es sich um einen Prozeß, um eine Methode, Probleme zu lösen.

Bei solch einem Frieden wird es dennoch zu Streitigkeiten und Interessenkonflikten kommen, wie dies für Familien und Nationen eben einmal typisch ist. Für Weltfrieden, wie auch für den Frieden innerhalb einer Gemeinschaft, ist es nicht erforderlich, daß jeder Mensch seinen Nachbarn liebt. Es ist lediglich erforderlich, daß sie in der Lage sind, durch gegenseitige Toleranz zusammenzuleben und Streitpunkte auf gerechte und friedliche Weise beizulegen. Die Geschichte lehrt uns ja, daß Feindschaften zwischen Nationen nicht ewig andauern, und dies gilt auch für Menschen. Wie tief unsere Vorlieben und Abneigungen auch verwurzelt sein mögen, die Beziehungen zwischen Nationen und Nachbarn verändern sich im Laufe der Zeit und unter Berücksichtigung neuer Ereignisse oft auf überraschende Weise.

Lassen Sie uns daher beharrlich sein. Es muß nicht sein, daß Frieden nicht zu verwirklichen ist, und Krieg muß nicht unvermeidbar sein. Wenn wir unser Ziel genauer definieren, wenn wir dafür sorgen, daß es realisierbarer und greifbarer erscheint, dann können wir einen Beitrag dazu leisten, daß das Ziel von allen Menschen erkannt wird, daß es in ihnen Hoffnung hervorruft und daß wir uns unaufhaltsam immer weiter auf dieses Ziel zubewegen.

Nun zu meinem zweiten Punkt: Lassen Sie uns noch einmal überlegen, wie wir zur Sowjetunion stehen. …

Kein Regierungs- oder Gesellschaftssystem ist so übel gesinnt, daß die ihm angehörigen Menschen als tugendlose Wesen zu betrachten sind. Wir Amerikaner finden Kommunismus zutiefst abstoßend, weil in ihm persönliche Freiheit und Würde negiert werden. Trotzdem können wir den Russen aufgrund ihrer zahlreichen Errungenschaften zujubeln, in Wissenschaft und Raumfahrt, beim wirtschaftlichen und industriellen Wachstum, in der Kultur und bei mutigen Handlungen.

Unter all den Charakteristika, die die Menschen unserer beiden Länder gemein haben, ist keines so stark wie unsere einvernehmliche Verachtung von Krieg. Wir haben noch nie gegeneinander Krieg geführt, was unter den wichtigsten Weltmächten fast einzigartig ist. Und in der Kriegsgeschichte hat noch nie eine Nation dermaßen viel Leid ertragen müssen wie die Sowjetunion im Laufe des Zweiten Weltkriegs. Damals kamen mindestens 20 Millionen Menschen ums Leben. Unzählige Millionen Wohnhäuser und Bauernhöfe wurden niedergebrannt oder geplündert. Ein Drittel des Staatsgebiets, und hierzu zählten fast zwei Drittel seiner industriellen Basis, wurden in eine Öde verwandelt. Dieser Verlust ist der Zerstörung gleichzusetzen, die man in diesem Land östlich von Chicago erlebt hat.

Sollte heutzutage noch einmal ein totaler Krieg ausbrechen, egal wie, dann wären unsere beiden Länder die Hauptangriffsziele. Es ist ironisch und zugleich wahr, daß die zwei mächtigsten Staaten auch die sind, die am stärksten von Verwüstung bedroht sind. Alles, was wir aufgebaut haben, alles, wofür wir gearbeitet haben, würde in den ersten 24 Stunden zerstört werden. Und selbst im Kalten Krieg, durch den so viele Nationen – und darunter auch die engsten Alliierten dieser Nation – belastet und gefährdet werden, tragen unsere beiden Länder die schwerste Last. Denn beide Länder geben gewaltige Summen für Waffen aus, obwohl diese Gelder besser für die Bekämpfung von Unwissenheit, Armut und Krankheiten verwendet werden könnten. Beide Länder sind in einem gefährlichen Teufelskreis gefangen, in dem das Mißtrauen, das auf einer Seite herrscht, auch auf der anderen Seite Mißtrauen hervorruft. So führen neue Waffen dazu, daß auch auf der anderen Seite das Waffenarsenal vergrößert wird.

Kurzum, sowohl die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten als auch die Sowjetunion und ihre Alliierten haben ein tiefes, auf Gegenseitigkeit beruhendes Interesse daran, daß ein gerechter und ehrlicher Frieden herrscht und dem Wettrüsten Einhalt geboten wird. …

Lassen Sie uns daher unsere Differenzen nicht ignorieren, aber wir müssen uns auch auf unsere gemeinsamen Interessen konzentrieren und darauf, wie wir diese Differenzen überwinden können. Und sollten wir nicht in der Lage sein, unseren Differenzen jetzt ein Ende zu setzen, so können wir zumindest einen Beitrag dafür leisten, daß auf dieser Welt eine sichere Grundlage für Vielfalt gelegt wird. Letzten Endes besteht unsere grundlegendste Gemeinsamkeit darin, daß wir alle auf diesem kleinen Planeten leben. Wir alle atmen dieselbe Luft. Uns allen liegt die Zukunft unserer Kinder am Herzen. Und wir alle sind sterblich.

Ich fahre nun mit meinem dritten Punkt fort: Lassen Sie uns noch einmal überlegen, welche Haltung wir in Bezug auf den Kalten Krieg vertreten, und dabei daran denken, daß es hier nicht um eine Debatte geht, bei der jeder versucht, möglichst viele Punkte zu sammeln. Wir möchten hier weder Schuldzuweisungen machen noch jemanden verurteilen. Wir müssen die Welt so nehmen, wie sie ist, und können nicht so tun, als wäre die Geschichte der vergangenen 18 Jahre anders verlaufen.

… Wir werden unsere eigenen Hauptinteressen verfolgen, vor allem müssen die Atommächte jedoch Konfrontationen abwenden, bei denen ein Gegner nur die Wahl zwischen demütigendem Rückzug und Atomkrieg hat. Würde man im atomaren Zeitalter einen solchen Kurs einschlagen, wäre dies lediglich ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder dafür, daß wir der ganzen Welt den kollektiven Tod wünschen. …

Wir können uns um Entspannung bemühen, ohne in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Und wir müssen unsererseits nicht auf Drohungen zurückgreifen, um unsere Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Wir müssen nicht die Ausstrahlung ausländischer Sendungen stören, weil wir fürchten, daß unser Glaube erschüttert wird. Wir sind nicht willens, Menschen unser System aufzuzwingen, die daran kein Interesse haben, aber wir sind willens und auch dazu in der Lage, mit jedem beliebigen Volk dieser Erde in friedlichen Wettbewerb zu treten. …

Zweifelsohne ließe sich Frieden leichter sichern, wenn es alle Nationen unterlassen würden, sich in die Entscheidungen anderer einzumischen.

Einer der Hauptbereiche dieser Verhandlungen [in Genf], in dem zwar das Ende in Sicht, ein frischer Start jedoch dringend geboten ist, besteht in einem Abkommen über das Verbot von Atomtests. Durch den Abschluß eines solchen Abkommens, das so nah und doch so fern ist, ließe sich dem außer Kontrolle geratenen Wettrüsten in einem seiner gefährlichsten Bereiche Einhalt gebieten. Dadurch wären die Atommächte imstande, wirksamer etwas gegen eine der größten Gefahren zu unternehmen, denen die Menschheit im Jahr 1963 ausgesetzt ist: der weiteren Ausbreitung von Atomwaffen. Unsere Sicherheit ließe sich steigern, und die Wahrscheinlichkeit eines Krieges fiele geringer aus. Dieses Ziel ist gewiß wichtig genug, um sich dauerhaft dafür einzusetzen. Dabei sollten wir weder der Versuchung nachgeben, die Anstrengung ganz einzustellen, noch der Versuchung, wichtige und verantwortungsbewußte Schutzmaßnahmen dafür aufzugeben. …

Meine amerikanischen Mitbürger, lassen Sie uns abschließend überlegen, welche Haltung wir in Bezug auf Frieden und Freiheit im eigenen Lande vertreten. Die Qualität und das Wesen unserer eigenen Gesellschaft müssen unsere Bemühungen im Ausland rechtfertigen und unterstützen. Dies müssen wir unter Beweis stellen, indem wir in unserem eigenem Leben Engagement zeigen. …

Wo immer wir uns auch aufhalten, wir alle müssen im Alltag am uralten Glauben festhalten, daß Frieden und Freiheit zusammengehören. In zu vielen unserer Städte können wir uns heute dem Frieden nicht gewiß sein, weil die Freiheit eingeschränkt ist.

Es liegt im Verantwortungsbereich der Exekutive, auf allen Regierungsebenen– lokal, bundesstaatlich und national – und unter Zuhilfenahme aller ihr zur Verfügung stehender Mittel dafür zu sorgen, daß alle Bürger frei sind und diese Freiheit bewahrt wird. Die Legislative ist auf allen Ebenen dafür zuständig, dort für angemessene Befugnisse zu sorgen, wo dies derzeit nicht der Fall ist. Und es liegt in der Verantwortung aller Bürger in allen Teilen dieses Landes, die Rechte aller Mitbürger zu achten und sich an das in diesem Land geltende Recht zu halten.

All dies steht in einem Zusammenhang zum Weltfrieden. „Wenn jemandes Wege dem Herrn wohl gefallen“, so steht es in der Heiligen Schrift, „macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden“. Und ist Frieden letztendlich nicht einfach eine Frage der Menschenrechte? Das Recht, unser Leben ohne Furcht vor Zerstörung zu leben, das Recht, saubere Luft zu atmen, und das Recht künftiger Generationen, ein gesundes Dasein zu führen?

Lassen Sie uns beim Wahren unserer nationalen Interessen auch die Interessen der Menschheit wahren. Und das Beseitigen von Krieg und Waffen dient offensichtlich beiden Interessen. Allerdings kann kein Abkommen, so sehr auch alle davon profitieren mögen und so genau es auch formuliert sein mag, im Hinblick auf die Risiken der Täuschung und Umgehung absolute Sicherheit bieten. Ist es jedoch bei der Umsetzung wirksam genug und steht es in hinreichendem Maße im Interesse der Unterzeichnenden, so kann es weit mehr Sicherheit bieten und weit weniger Risiken bergen als ein unvermindertes, unkontrolliertes und unvorhersehbares Wettrüsten.

Die Vereinigten Staaten werden, und das weiß man in der Welt, niemals einen Krieg beginnen. Wir wollen keine Kriege. Auch jetzt gehen wir nicht davon aus, daß es zu einem Krieg kommen wird. Diese Generation der Amerikaner hat bereits genug, mehr als genug Krieg, Haß und Unterdrückung erlebt. Wir sollten jedoch vorbereitet sein, falls andere diesen Wunsch hegen. Wir sollten wachsam sein, um einen solchen Krieg möglichst zu unterbinden. Wir sollten aber auch unseren Beitrag leisten, wenn es darum geht, eine Welt des Friedens zu errichten, in der die Schwachen sicher und die Starken gerecht sind. Weder stehen wir dieser Aufgabe hilflos gegenüber noch fehlt uns der Glaube an ihren Erfolg. Wir sind zuversichtlich und furchtlos, und wir engagieren uns weiterhin, und zwar nicht für eine Strategie der Vernichtung, sondern für eine Strategie des Friedens.